Perlensamt
nie zuvor gesehen. Aus einer riesigen Halskrause guckt oben nur ihr wirr gelockter Kopf heraus. Ihre üppige Figur ist unter dem Faltenwurf der wallenden Menge weißen Stoffs nicht einmal zu erahnen. Ohne auf eine Erklärung zu warten, hantiert sie seitlich des Kamins, zieht ein langes Ding aus der Wand, eine Art Schlegel, hustet, als hätte sie sich eine Vergiftung zugezogen und versucht, den Rauch von sich zu fächeln. Dann läuft sie zur Gartentür und reißt sie auf. Nachtkühle dringt herein. Der Rauch zieht in Schwaden hinaus. An diesem Abend, der nahtlos zur Nacht geworden ist, lerne ich, wie man einen belgischen Kamin bedient und daß die europäischen Kamine sogenannte Luftschleusen haben, die man öffnen muß, damit der Schornstein richtig zieht.
»Das wäre bald die letzte Nacht unseres Lebens geworden! Sie haben offenbar wenig Erfahrung mit Kaminen. Wenn Sie soviel Papierzeug verbrennen, müssen Sie den Zug weit öffnen. Papier verursacht viel Rauch.«
Sie bietet mir einen Kräutertee an, der mich angeblich wunderbar einschlafen läßt, und rät mir dringend, ins Bett zu gehen. Ich gehe statt dessen in den Garten. Die Luft riecht feucht. Die Bäume stechen schwarz von dem dunkelblauen Himmel ab. Man kann die Stadt nur erahnen. Ich ziehe die Schuhe aus und wate durch das nasse Gras. Mit dem Haus habe ich einen Glücksgriff getan. Mitten in der Stadt ländliche Geräusche, Vogelgesang, Blätterrauschen. Ich konnte den Frieden gar nicht fassen, als ich am Fuße des Hügels stand und die Reihen typisch belgischer Stadthäuser links und rechts der ansteigenden Straße sah. Aber der Genuß, Berlin und der düsteren Geschichte entkommen zu sein, währte nur kurz. Seit ich Perlensamt kenne, habe ich den verdammten Eindruck, daß hinter jeder Sache noch eine andere steckt.
Wie habe ich David nach unserer ersten Begegnung beurteilt? Die Erinnerung täuscht. Sie ist gerade dann unzuverlässig, wenn sie gegen die Gegenwart antreten muß. Ich kann David inzwischen aus der Nähe nicht mehr ertragen. Aber vor einem Jahr war das anders. Seine Widersprüchlichkeit faszinierte mich. Allein die Wohnung der Perlensamts! Ich entdeckte neben den wertvollen Bildern und Teppichen zunehmend Kitsch, seelenlose Imitate oder Kopien wie die einer Vase aus der Ming-Dynastie und einen Lüster aus falschem Murano-Glas. Es gab Polstermöbel, deren bedruckter Polyesterbezug Seidenbrokat imitierte. Das Seltsamste aber waren die Drucke: Dali, Matisse, Chagall! Tausendfach reproduziertes, schlecht bedrucktes Papier in einem Haus mit einer solchen Sammlung! Ich sprach David darauf an.
»Vielleicht ein Geschenk einer Schwester meiner Mutter. Mutter wies nie ein Geschenk ihrer Schwestern zurück. Sie liebten sich sehr und besuchten sich oft. Eine von ihnen, Eliza, ist mit einem Diplomaten verheiratet. Sie leben zur Zeit in Johannisburg. Die andere lebt in der Nähe von München.«
Bei meinem nächsten Besuch waren die Drucke verschwunden. Als ich ihn auf die Imitate antiker Objekte hinwies, zuckte David nur mit den Achseln.
»Kommt das nicht in den besten Familien vor? Weißt du, meine Mutter war sehr unbefangen damit. Sie war lebenslustig, pragmatisch, direkt. Wenn sie das Imitat einer Ming-Vase sah und eine echte gerade nicht zu bekommen war, dann wurde eben die Kopie angeschafft. Mein Vater, der sensibler ist, wagte nie, meiner Mutter etwas abzuschlagen. Vielleicht störte ihn das Gemisch aus Original und Fälschung. Aber er liebte seine Frau mehr als den reinen Stil.«
Als ich ihn erneut besuchte, war die Ming-Vase verschwunden. Ich unterließ fortan die Fragerei. Statt David mit dem Geschmack seiner Eltern zu quälen, ging ich mit ihm ins Museum. Dann kam er auf eine Idee, die mir zuerst unangenehm war. Er wollte mit mir einkaufen gehen. Schuhe, Klamotten, alles mögliche. Ich fand das weibisch, wäre von selbst nie darauf gekommen. Ich mache so etwas immer allein. Aber David wollte es unbedingt, also gab ich schließlich nach, um ihm eine Freude zu machen. Wie alles, was man mit David unternahm, waren auch diese Nachmittage Inszenierungen besonderer Art. David hatte einen exzentrischen Geschmack, und oft genug glichen diese Shoppingtouren Schnitzeljagden durch die gerade erst entstehende Modeszene der Stadt, mehr underground, wie mir manchmal schien, als über der Erde. Dabei bewies er ein ausgeprägtes Gespür für Stoffe und Farben und, ganz anders als bei den Imitationen in seinem Elternhaus, einen Sinn für Qualität. Ich neige
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