Perlensamt
Besatzung den Polizeidienst wegen Bestechung quittieren müssen. Der Typ, sagte Duras, sei ein putois, ein Stinktier, gewesen, eine eiternde Pestbeule, deren Inhalt sich auf die ganze Umgebung ergoß. Aber in der Rue Lauriston lebten noch andere Subjekte, Leute, die schon vor dem Krieg falsche Namen trugen, eine ›Gräfin‹ Seckendorff zum Beispiel oder ein ›Baron‹ von Kermanor. Die beiden waren berühmt für verschwenderische Parties, Trinkgelage und Folterungen. Den Gequälten hatten einst die oberen Etagen gehört. Hier leerten die falschen Aristokraten nun jene ausgezeichneten Weine, die vorher in den Kellern gelagert wurden, in denen Bonny und Laffont die Geplünderten malträtierten. Damit nicht genug. Die Bande und ihre Auftraggeber hatten sich nicht nur in der Rue Lauriston breit gemacht. Sie infizierten nach und nach das gesamte 16. Arrondissement. Das stille weiße Passy begann, nach Scheiße und getrocknetem Blut zu stinken.
»Was, glauben Sie, passierte mit den Orten, nachdem ihre Bewohner verhaftet und bevor die Räume geplündert wurden? Es gibt kaum eine hochherrschaftliche Wohnung, kein Palais dieser Gegend, in das kein Nazi eingedrungen ist und auf den Teppich gepißt hat.«
George Duras sprach über all das, als hätte er die Zeit erlebt. Ab und zu schwang im Unterton seiner Stimme die Andeutung eines Vorwurfs mit. Es war nicht klar, ob er mich damit meinte. Dieser Tonfall konnte auch einfach zur Rede gehören. Duras mochte sich wundern, daß ich von all dem nichts gewußt hatte – aber was wußte er schon über mich, den Amerikaner in Paris? Seine erste Reaktion hatte bewiesen, daß er mich gar nicht verletzen konnte. Was mich betraf, so kramte er nur in Klischees. Als er am Ende angekommen war und ich den Eindruck hatte, nun genug Informationen zu haben, kam meine Kür. Ich stellte eine unverschämt direkte Frage, für die mir Rosie über den Mund gefahren wäre. Es war meine Antwort auf die französische Überheblichkeit.
»Vielen Dank, nun verstehe ich die Situation etwas besser. Ich habe nämlich einen Freund hier in Berlin, dessen Großvater während der Besatzung in Paris lebte, im 16. Arrondissement. Mein Freund hat von ihm eine wunderbare Sammlung geerbt, nach der Provenienz einzelner Stücke wage ich gar nicht zu fragen. Ach, nebenbei – stimmt es denn, was man tuschelt? Daß Ihre Familie selbst in die Verschiebung von Kunst verstrickt gewesen ist?«
Duras lachte wieder, dieses Mal leise, fast fein.
»Man könnte meinen, Sie schrieben an einem Buch, so gezielt verstehen Sie es, Fragen zu stellen, die niemand beantworten will. Das Problem, mein Lieber, erwähnte ich schon. Eigene Familien geben keine Auskunft. Fremden Auskünften kann man nicht trauen. Die Interessen der Anderen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Man kann es auch Propaganda nennen. Angriff ist die beste Verteidigung. Ich wünschte tatsächlich, ich wüßte mehr als Sie. Aber ich gehe davon aus, daß meine Familie in irgend etwas verwickelt war. Auch ich habe ein paar Bilder an der Wand hängen, die ich nicht selbst gekauft habe. Meine Mutter ist in direkter Linie mit der Comtesse Lavalle verwandt, und mein Vater aß zwischen dem 20.4.41 und dem 14.3/44 gern im Maxim zu Abend. Es ist also nicht unmöglich, daß meine Familie in irgend etwas verwickelt war. Vielleicht war sie geradezu erpicht darauf, sich verstricken zu lassen. Man hatte ja was davon. Die Art Moral, die Sie von mir erwarten, war schon nach der Befreiung von Paris billig zu haben. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, daß irgend jemand in meiner Familie sich je für billige Artikel begeistert hätte. Der genaue Verlauf der einzelnen Fäden wird ebenso im Dunkeln bleiben wie der Ort, an dem heute manches verschobene Bild sein Zuhause gefunden hat. Meine Eltern zumindest haben ihr Wissen in Sicherheit gebracht. Die Gruft unserer Familie ist in Passy, ganz in der Nähe der Straßen, über die wir eben sprachen. Einer der schönsten Friedhöfe von Paris. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick über die Stadt. Er ist unverändert seit damals, einer der seltenen Orte, die die Nazis nicht geplündert haben, obwohl er im 16. liegt.«
SIEBEN
»Monsieur, was machen Sie denn da? Der Rauch kommt ja bis nach oben in den dritten Stock! Wollen Sie uns ersticken?«
Madame Eugénie steht im Nachthemd vor mir. Sie sieht aus wie ein Gespenst, Verkündigung eines anderen Jahrhunderts, das typisch belgisch gewesen sein muß. Ich habe so einen Aufzug noch
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