Perlensamt
einen Vortrag über die Irrfahrt eines wieder aufgetauchten Gemäldes gehalten und damit bei mir einen ebenso kompetenten wie undurchsichtigen Eindruck hinterlassen. Er hatte ein bißchen nach Casanova gerochen, so ein Typ, der mit jedem sofort Weitpinkeln veranstalten muß, um zu sehen, daß er nicht nur die Nase vorn hat. Aufgewachsen in Paris, dort zur Schule gegangen und – nach ein paar Jahren Studium in New York und Los Angeles (für einen Franzosen wirklich bemerkenswert) – seine Licence an einer Grande École gemacht. Das reicht bekanntlich für einen unaufhaltsamen Aufstieg. Auf dem Symposium munkelte man, daß er sich nicht allein aus kulturhistorischem Interesse auf Raubkunst spezialisiert hätte. Seine Familie sei irgendwie in den Bilderschwund verstrickt. Ich hatte nicht nachgefragt. Ich hatte es bei dem irgendwie belassen. An diesem Abend aber rief ich ihn an. Duras schien erstaunt, von mir zu hören. Noch erstaunter war er, als ich ihn um topographischen Nachhilfeunterricht bat.
»Ein Amerikaner in Paris«, witzelte er. »Was kann ich für Sie tun? Bereiten Sie eine private Reise vor, oder wurde wieder Unrat an die Oberfläche gespült?«
Ich sagte, ich kennte mich in der Pariser Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht aus. Die einzelnen Viertel und ihre Geschichte seien mir nur durch meine Spaziergänge bekannt. Ich suchte Informationen über das 16. Arrondissement zur Zeit der deutschen Besatzung. Ich wüßte zwar, daß es in der Rue Debordes Valmore ein Depot gegeben hätte …
»… von Bernheim-Jeune, Kunsthändler.« … aber mir sei die wirkliche Zeit sehr fern, die Verschiebung der französischen Kunstwerke abstrakt. Wie hätte ich mir das vorzustellen? Atmosphäre, alltägliches Geschehen, untergründiges Treiben, Verwicklungen, die in offiziellen Kunstreportagen und wissenschaftlichen Schriften nicht nachzulesen seien. Ich sei eben nicht in Europa aufgewachsen. Hätte keine Großeltern gehabt, die mir etwas über diese Zeit hätten erzählen können. Alles, was ich wüßte, hätte ich aus Büchern. Duras lachte schallend. Ich begriff nicht, was an meinen Ausführungen komisch sein sollte. Dann wurde der Anwalt ernst.
»Rue Lauriston – haben Sie davon gehört? Von der Bande?«
Andeutungen. Ich hätte etwas gelesen.
»Der Wirkungsraum von Bonny Laffont zog sich vom reichen Westen über die Mitte zum armen Osten durch die ganze Stadt. Im Westen plündern, in der Mitte erpressen und verhökern, im Osten lagern. Der Westen war der Ursprung, der Osten der Verschiebebahnhof, in der Mitte schlug das Herz der Leidenschaft zwischen Quelle und Mündung. Hier, im Zentrum der Stadt, lief noch einmal zusammen, was immer zusammen gehört hatte, allerdings in vollendeter Perversion: die Interessen eines Marktes. Selbst die offiziellen Auffangbecken der Nazis richteten sich nach dieser Topographie. Die Sammelstellen für Kunst waren im Louvre und im Jeu de Paume, also unmittelbar im 1. Arrondissement. Kaufen Sie sich einen Plan, eines dieser kleinen Bücher, das Sie an jedem Kiosk bekommen. Dann schauen Sie sich an, was ich Ihnen an Straßen nenne. Sie werden sehen, wie präsent die Saubande war und wie die Aktionen funktionierten.«
Von George Duras erfuhr ich, daß Bonny Laffont nicht etwa der Name des Bandenführers war. Es handelte sich um die Nachnamen zweier undurchsichtiger Typen. Sie erledigten für die Nazis Drecksarbeit. Einbruch, Plünderungen, Folter.
Dunkle Geschäfte mit Diebesgut. Sie verschoben nicht nur wertvolle Bilder und Kunstobjekte, sondern nahmen den besseren Leuten, die sie ›besuchten‹, einfach alles ab – Bettwäsche, Tafelsilber, Porzellan, Abendroben, Parfüms, Hüte und Handtaschen, Spazierstöcke, Zigarettenetuis. Nicht einmal vor den Tennisschlägern und der Golfausrüstung machten sie halt. Die ermerdeurs, für die sie arbeiteten, konnten alles gebrauchen. Eine neue Gesellschaftsschicht schwamm auf einmal oben. Der Abschaum aus dem Sumpf. Mit Politik oder Ideologie hatten diese Aktionen wenig zu tun. Es ging um Raffgier. Um ein Sich-schadlos-Halten. Um Rache an denen, die früher die feinen Leute gewesen waren. Die Halsabschneider. Die Bankiers. Die Beziehungstüftler. Die Juden.
Die Dinge, die Bonny und Lafont nun an sich rissen und unter ihresgleichen verteilten, hatten sie, wenn überhaupt, bisher nur von fern gesehen. Luxusobjekte, Bücher, objets d’art, feine Kleider, Pelze, Schmuck. Die Zeit der Almosen war vorbei. Endlich konnten sie Besitz von
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