Perlensamt
lassen noch mit der herzlichen Atmosphäre, die Bob zu Hause verbreitete. Erst recht paßte die düstere Aura nicht zu der Stadt, in der ich groß geworden war. David und ich hatten Spaß miteinander und waren unbeschwert, trotz oder wegen der Umstände, unter denen wir uns kennengelernt hatten. Jedenfalls nahm David Anteil an meiner Arbeit, und wir teilten viele Interessen. Von der Schauspielerei oder einem anderen Beruf war nie mehr die Rede. Er privatisierte. War immer da, mit Plänen, guter Laune, irgendeiner Idee. Und gut gefüllten Hosentaschen. Nicht, daß er tatsächlich Kordel oder tote Mäuse oder ein Taschenmesser darin herumgeschleppt hätte. Aber so ähnlich war es schon, wenn er mich abholte oder bei einem ersten Glas Wein auf einer Café-Terrasse auf mich wartete.
»Ich hab zwei Tickets fürs Kino nebenan.«
Oder er kam mit einer Vernissage drei Straßen weiter. Karten für die Philharmonie. Ein Restaurant, das wenige Tage zuvor geöffnet hatte. Was er tagsüber machte? Darüber sprachen wir nicht. Wir sprachen über Raubkunst. Wenn die Unterhaltung darauf kam, war David lebendiger denn je. Die günstigsten Bedingungen für die neuen Eigentümer zum Beispiel hielt die Schweiz bereit. Das Schweizer Gesetz besagt, daß nach fünf Jahren ein nicht reklamierter Anspruch auf Eigentum verfällt. Die rechtmäßigen Besitzer oder deren Erben, die oft nicht wußten, wohin einzelne Teile ihrer Sammlungen versprengt worden waren, hatten nie eine Chance gehabt. David echauffierte sich, als sei er selbst betroffen. Seine Pupillen verengten sich zu winzigen Kanälen. Man ahnte nicht einmal, wohin sie führen mochten, vielleicht in eine Ecke seines Hirns, in der er bestimmte Pläne entwarf. David wäre ein guter Anwalt geworden. Der richtige Typ für die Art Plädoyer, die der angelsächsische Prozeß vorsieht. Er sprach plastisch, durchaus emotional. Ich hatte nicht selten den Eindruck, in Berlin immer noch inmitten von Nazis zu leben, wenn ich ihn sprechen hörte.
»Stell dir vor, du gehst durch das Kunsthaus in Zürich. Plötzlich siehst du ein Bild aus der Sammlung deines Großvaters.
Du erkennst es sofort. Dennoch bist du unsicher, denn du kannst dir nicht vorsteilen, daß ein Staat die Unverschämtheit besitzt, öffentlich zu zeigen, was ihm nicht gehört. Du zweifelst an dir. Aber es gibt da eine Reihe von Photographien aus dem Haus deiner Großeltern. Tante Annie ist auch darauf. Dein Großvater am Klavier. Dein Vater spielt im Vordergrund mit einem Holzpferd, trägt einen Matrosenanzug, der kleine Kahlschädel. An der Wand im Hintergrund hängt zwischen anderen Bildern der Picasso, den du jetzt vor der Nase hast. Du meinst, das sei der Beweis, daß das Bild deiner Familie gehörte, die in Auschwitz umgekommen ist. Und als du dich an den Kurator der Sammlung wendest, sagt man dir, tut mir leid, mein Herr, aber dieses Bild hängt hier seit zwanzig Jahren. Herr X hat es rechtmäßig von Herrn Y erworben. Da hätten Sie schon 1950 kommen müssen, spätestens – und außerdem ist eine Photographie noch längst kein Provenienzbeweis. Wenn du einräumst, daß deine Familie schon ’43 geplündert wurde und danach deportiert und daß die, die gerade noch emigrieren konnten, sich um ihr nacktes Leben kümmern mußten und sich weder um den Verbleib der Bilder kümmern noch mitten im Krieg unter der Herrschaft der Nazis Ansprüche stellen konnten – zuckt der nette, kundige Kurator, der ein paar Jahre jünger ist als du, mit den Achseln und beruft sich auf das nationale Recht und die Ungerechtigkeit der Geschichte.«
»Aber das ist nur in der Schweiz so, nicht in Deutschland und auch nicht in Frankreich.«
»Wahrscheinlich hängen solche Bilder wohlweislich nur in deutschen Privatsammlungen, die einem öffentlichen Publikum nicht zugänglich sind. Wie bei uns. Man sollte sie öffentlich auspeitschen.«
»Wen?«
Kurz hatte ich die Vision eines religiösen Eiferers, als ich David so sprechen hörte. Ein berufener Mann hebt die morsche Welt aus den Angeln. Er sagt die Wahrheit. Alle glauben ihm. Eine merkwürdige Bewegung entsteht, die durch Eigendynamik immer eifriger wird. Davids Enthusiasmus war mitreissend, aber auch ein wenig abstoßend. Er war hitzig. Vollkommen undifferenziert. Manchmal hatte ich den Eindruck, als wäre er nicht ganz bei Bewußtsein, wenn er so sprach. Er gestikulierte lebhaft. Zog Grimassen. Seine Stimme – tief, fast singend. David schlug vor, eine Kampagne zu starten. Gemeinsam seien
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