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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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umklappen konnte. Gestreifte Sessel, undefinierbar im Stil. All dem hatte ich in der Nacht, als ich hier schlief, keine Beachtung geschenkt. Auch den beiden Fenstertüren nicht, die auf den Innenhof hinausgingen, den ich so bewundert hatte. Ich sah mir die teils offenen, teils verglasten Bücherreihen genauer an. Meyers Enzyklopädie, eine ledergebundene Gesamtausgabe von Goethe, Shakespeare, dazwischen ein Folioband Montaigne, verschiedene Romane von Balzac, Zola, Thomas Mann. Keine Schriftstellerinnen, keine neue Literatur. Ich stieg auf den Holztritt, nahm vorsichtig den Folioband heraus und wäre, in Erwartung des Gewichts, beinahe aus der Balance gekippt. Das Monster war aus Pappmaché und innen hohl. Die anderen Bücher auch. Sie dienten als Camouflage für Videos. Ich stellte die Attrappen wieder in Reih und Glied zurück.
    Die Mappe mit den INITIALEN AP fand ich in der Schreibtischschublade. Auch dafür gab es einen Schlüssel am Bund. Für die Mappe nicht. Sie war mit einem einfachen Mechanismus verschlossen. Die Entscheidung, die Mappe samt Inhalt verbrennen zu lassen, oblag einzig mir. Es war, als hätte Perlensamt gewollt, daß ich Schicksal spiele. Und ich würde es tun, egal welche Entscheidung ich träfe. Ich kam mir vor wie ein aus den Staaten herbeigeeilter Erbe, der die Hinterlassenschaft eines unbekannten Vaters antritt.
    Vom Arbeitszimmer des Hausherrn aus durchstreifte ich die anderen Räume. Zunächst sah ich mir Davids Schlafzimmer am Ende des Korridors an, den ich noch nie beschritten hatte. Es war, ebenso wie die Bibliothek, penibel aufgeräumt und sah nicht im mindesten nach einem bewohnten Zimmer aus. Keine persönlichen Sachen. Die Fenster gingen zur Fasanenstraße hinaus. Ich streifte durch die anderen Zimmer und begegnete den Nippesfiguren wieder, die David auf meine Bemerkungen hin weggeräumt hatte. Auf Bilder stieß ich in diesen Räumen nicht. Auch Schatten von Staubkadern befanden sich an keiner einzigen Wand, und keines dieser Zimmer sah frisch gestrichen aus. Das Schlafzimmer, in dem sich der Mord ereignet hatte, war mit verblichen-grauer Seide bespannt. Auch hier hatte wohl kein Bild gehangen. In den die gesamte Wandfläche füllenden Schränken hingen nicht nur die Anzüge des toten Alfred, sondern auch die Garderobe von Miriam Perlensamt, vom Abendkleid über den Morgenmantel bis zum Pelz. Ein Duft von Veilchen und Tuberosen, der manchmal alten Schmuckdosen entströmt, kroch aus den Gewändern.
    Wenn so das Erbe der Großeltern Abetz aussah, konnte ich verstehen, daß Edwige sich von dieser Familie distanzierte. Eine Mischung aus muffigem Kitsch, Trostlosigkeit und Pomp strahlten die Räume aus, die von der angeblich so renommierten Familie Perlensamt jahrzehntelang bewohnt worden waren.
    Hinter Küche und Badezimmer, die im rückwärtigen Wohntrakt in Richtung des Lieferanteneingangs lagen, gingen weitere Zimmer vom anderen Ende des Korridors ab. In einem davon hatte das Medium gesessen. Der Raum schien jetzt eine Abstellkammer zu sein für Gegenstände, die niemand mehr wollte. Aber als ich den gegenüberliegenden Raum betrat, verschlug es mir den Atem.
    Ich stand in einem Depot. Ich wußte nicht gleich, woher ich kannte, was sich mir darbot. Wie das Magazin eines Museums sah der Raum trotz der vielen Bilder nicht aus. An allen vier Wänden hingen dicht neben- und übereinander die Bilder aus der vorderen Halle, abwechselnd mit anderen, die ich in diesem Haus noch nie gesehen hatte. In der Mitte befand sich ein Tisch, auf dem eine Mappe für Zeichnungen lag. Im ganzen mochte es sich um fünfundzwanzig bis dreißig Bilder unterschiedlicher Größe handeln, Zeichnungen und Skizzen nicht mitgezählt. Rechts von der Tür, auf einer großen Staffelei, stand Courbets Bild vom Meer. Ich quetschte mich daran vorbei, um die rückwärtige Leinwand zu betrachten. KA 19 stand darauf. Ich ging auf ein Bild von Matisse zu. Zwei Schwestern. Jeder Kunsthistoriker in meiner Generation kannte das Bild. Keiner hat es je im Original gesehen. Ich nahm es von der Wand, drehte es um. Was ich sah, hatte ich nun schon erwartet. Auch dieses Bild trug die Signatur KA, dazu eine Nummer. Beide Bilder mußten aus der Sammlung Alphonse Kann stammen. Sie waren zwischen 1940 und 1942 von den Nazis beschlagnahmt worden. Seit 1944 galten sie als verschollen. Weitere Rückseiten brauchte ich nicht zu sehen. Ich verließ das Depot und schloß die Tür hinter mir. Mir war übel. Ich schloß die Fenster, die ich

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