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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bongartz
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weiß, was ich sage. Du bist es, der den Sinn der Lage nicht versteht.«
    Ich hätte ihn gerne geschüttelt, ihn geohrfeigt und angeschrien, um ihn zu sich zu bringen. Meiner Ansicht nach stand David unter Schock. Mona kam herein, gute Laune versprühend. Sie umarmte David, schüttelte seine Kissen auf und sprach vom guten Wetter draußen. Sie sah älter aus. Ihre Sommersprossen wirkten blasser als sonst. Zu meinem Erstaunen trug sie Make-up und Lippenstift. Auch sie schien mir eigentümlich fremd und fern.
    »Wir werden heute erfahren, wann wir entlassen werden«, flötete sie.
    »Wir?« echote ich blöde. »Apropos wir. Wer ist jetzt im Büro?«
    »Ach, ich denke, gleich bist du dort. Ich werde bis nach der Visite warten, da man dann weiß, wann David nach Hause kann. Wir müssen dann noch den Wochenplan für den Hilfsdienst organisieren.«
    Keiner von beiden interessierte sich für die Nachricht der Staatsanwaltschaft. Ich sah auf die Uhr. Wenn ich mich nicht dringend um die Firma kümmern würde, hätten wir bald noch ein Problem. Die Mappe samt Inhalt mußte warten. Erst jetzt, da ich mich nicht sofort erinnern konnte, wo ich sie hingelegt hatte, fiel mir ein, daß ich sie in der Aufregung über meine Entdeckung in Perlensamts Arbeitszimmer vergessen hatte.
     
    Der einzige offene Streit mit Mona ereignete sich noch am selben Nachmittag. Sie kam erst gegen fünf ins Büro. Ich hatte ihre Mails durchgesehen und, so weit möglich, beantwortet. Aber ihre Post vom Morgen war ebenso unberührt wie die Akte mit den Anfragen zu verschiedenen Provenienzen.
    »Ich habe David gerade nach Hause gebracht. Er hat sich gefreut, wieder zu Hause zu sein. Ich muß gleich wieder weg, etwas einkaufen für ihn, etwas zu essen machen. Er braucht in der düsteren Wohnung erst einmal Gesellschaft. Er ist noch sehr schwach. Sie haben ihn unter der Bedingung entlassen, daß sich jemand um ihn kümmert.«
    »Ach, und das bist offensichtlich du.« Monas Engagement schien mir maßlos übertrieben. »Warum kündigst du nicht gleich?«
    Plötzlich kam mir der Gedanke, daß David womöglich die Mappe auf dem Schreibtisch seines Vaters finden würde. Ich mußte unbedingt dorthin zurück.
    »Man merkt, daß du Einzelkind bist und keine richtige Familie hast, sonst würdest du mehr Sinn dafür haben, daß man anderen in Not helfen muß. Dir fehlt das Gefühl dafür, wenn jemand dich braucht.«
    Sie machte Anstalten, gleich wieder zu gehen. Aber dieses Mal hielt ich sie zurück.
    »Kein Problem, du bleibst hier, trägst die Berge auf deinem Schreibtisch ab und wirkst damit deiner Entlassung entgegen. Ich kümmere mich zur Abwechslung um das Opfer der tragischen Verhältnisse. Ich habe ohnehin meine Jacke in der Wohnung vergessen. Wie ein Supermarkt aussieht, weiß ich auch gerade noch.«
    »Wenn du dich bloß sehen könntest. Du meinst, du überblicktest alles, nicht wahr? Du läßt dich nicht von Gefühlen beeinträchtigen. Gefühle sind was für Frauen, Schwule und undisziplinierte Idioten. Frei von diesen niedrigen Befindlichkeiten kann dich nichts durcheinander bringen. Martin Saunders regelt die Gegebenheiten nach seinem System, fehlerlos, nüchtern, mit guten Manieren, dreisprachig und immer glänzend angezogen. Dich könnte nicht einmal erschüttern, wenn vor deinen Augen jemand verreckt. Wahrscheinlich denkst du dann an den geeigneten Blumenschmuck und organisierst schon die Blaskapelle. Du bist so selbstgefällig, so verdammt souverän, so – unabhängig y daß mir das Würgen kommt.«
    »Und ich hatte gedacht, du hieltest mich für schwul – hat meine Herzlosigkeit dein todsicheres Urteil revidiert?«
    »Du bist ja krank. Du weißt doch überhaupt nicht, was du sagst.«
    Bevor ich darauf reagieren konnte, war sie hinausgestürmt. Ich stand da, hilflos, wütend, und sah die Mappe in der Fasanenstraße auf dem Schreibtisch liegen. Wie lange noch? Es half alles nichts. Ich mußte im Büro bleiben und die Stellung halten.
    Es fiel mir nicht leicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich mußte raus. Fort von David. Mich Monas Bemerkungen entziehen. Ich mußte allein sein und einen klaren Kopf bekommen. Nie kam mir die Idee, mit Rosie über diese Angelegenheit zu sprechen. Fällt mir heute ein. Jetzt. Vielleicht wäre Rosie die richtige Person gewesen. Aber so weit dachte ich nicht. Ich wollte auf und davon. Aber bevor ich mich davon machen konnte, mußte ich in der Fasanenstraße vorbei. Möglichst schnell.

ZWEIUNDZWANZIG
    Alfred

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