Perlentöchter
Haus gekauft, aber da Sandra nur stundenweise in einem Kindergarten arbeitete – wozu sie seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes gezwungen war –, verdiente sie nicht genug, um Gas und Strom und all die anderen Rechnungen zu bezahlen. Es hatte den Anschein, als wäre der einzige Grund, warum Sandra Helen in ihrem Haus duldete, der, dass sie auf Bobs finanzielle Unterstützung angewiesen war.
Sie vereinbarten, das Haus in zwei Bereiche aufzuteilen. Helen und Bob bewohnten das Erdgeschoss, wo es zwei Wohnzimmer gab – eines davon würde ihr Schlafzimmer werden. Sandra behielt ihr Schlafzimmer oben und konnte das zweite Schlafzimmer als Wohnzimmer benutzen. Das dritte Zimmer war ein kleiner Abstellraum, in dem das Baby schlafen würde. Und die Küche mit dem kleinen Gasherd in der Ecke, die zum Garten hinaus zeigte, und das kalte, schwarzweiß geflieste Bad waren Gemeinschaftsräume.
»Diese Seite der Speisekammer gehört mir«, sagte Sandra, nachdem sie von der Hochzeit zurückgekehrt waren. »Ich möchte nicht, dass du an meine Sachen gehst. Du kannst die Küche benutzen, aber erst, wenn ich fertig bin, und wehe, du machst den Herd nicht sauber nach dem Kochen. Ich hoffe, du hast Bettwäsche mitgebracht. Wir haben nicht genug Laken, und ich habe sicher nicht das Geld, welche zu kaufen.«
Helen versuchte sich zu sagen, dass es bestimmt nicht einfach war für die Frau, ihr Zuhause plötzlich mit ihrer Schwiegertochter zu teilen, die sie zuvor nur ein paarmal gesehen hatte. Trotzdem ging sie an jenem Abend mit schwerem Herzen ins Bett. Wenn Bobs Bewerbung Erfolg hatte, würde sie unter der Woche mit Sandra hier allein sein.
Während sie sich an Bobs Rücken schmiegte, spürte sie, dass das Baby sich in ihr bewegte. Sobald er da war – sie war sich sicher, es würde ein Junge sein! –, würde alles gut werden. Es musste gut werden. Damit ihr neuer Ehemann es nicht doch bereute, sie geheiratet zu haben.
Der Brief traf ein paar Monate später ein. Zu diesem Zeitpunkt war Helen so unförmig, dass sie sich kaum noch bewegen konnte. »Du erinnerst mich ein bisschen an ein Hausboot«, scherzte Bob manchmal, und obwohl sie so tat, als fände sie das lustig, tat sein Kommentar weh. Helen war sich ihres wohlgenährten, wenn auch nicht dicken Körperumfangs immer bewusst gewesen, der sich weigerte, seinen Babyspeck zu verlieren, obwohl sie inzwischen Mitte zwanzig war.
Ihr unübersehbarer Zustand hatte zur Folge, dass sie ihre geliebte Arbeit im Krankenhaus aufgeben musste, aber die Oberschwester hatte ihr versprochen, an sie zu denken, wenn das Baby da war, falls eine Nachtschicht frei wurde. Dann, als wäre dies alles nicht schon schwierig genug, kam schließlich der Brief, vor dem Helen sich gefürchtet hatte. Nun, während sie am Küchentisch saß, den Brief ungeöffnet vor sich, überlegte sie, ob sie ihn einfach ins Feuer werfen sollte, ohne ihn zu lesen.
Sie würde Clives Handschrift überall erkennen. Offenbar war er informiert worden. Die Leute redeten – zumindest Maggy, die sich regelmäßig meldete, um zu hören, wie »ihre Hellie« zurechtkam.
Besser, es schnell hinter sich zu bringen.
Es war schlimmer, als sie gedacht hatte. Gut geschrieben. Voller Liebe und Sorge und nur ein leiser Vorwurf.
»Ich wünsche mir so sehr, du hättest auf mich gewartet … Ich weiß, es war nicht leicht, als ich fort war … Ich werfe mir vor, dass ich nicht öfter geschrieben habe …«
Und dann, am Schluss …
»Dennoch habe ich Verständnis dafür, dass du dich weiterorientiert hast. Darum habe ich beschlossen, dasselbe zu tun. Ich habe ein bezauberndes Mädchen kennengelernt – sonderbar, aber sie heißt auch Helen –, und wir werden Ende des Jahres heiraten.«
Helen ließ den Brief auf den Tisch sinken und begann, Clives Gesicht in die Tischdecke zu zeichnen. Es half ihr, das flaue Gefühl in ihrer Brust einzudämmen, das nagende Gefühl, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Dann begann sie langsam, den Brief in winzige Fetzen zu reißen, während sie einen dumpfen Schmerz in ihrem Bauch wahrnahm, der kam und ging.
Als Sandra von der Arbeit zurückkehrte (»Helen, warum müssen eigentlich alle Lichter im Haus brennen? Kein Wunder, dass die Stromrechnung so hoch ist.«), kamen die Schmerzen in alarmierend regelmäßigen Intervallen. Bob würde vor morgen nicht zurück sein, und es gab keine Möglichkeit, ihn zu erreichen, da er unterwegs war und für die Transportgesellschaft, für die er arbeitete, technische
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