Perlentöchter
nicht vorstellen, wieder eine Beziehung einzugehen. Wo um alles in der Welt sollte sie anfangen, um einem Wildfremden ihre Familiengeschichte zu erklären? Es konnte nur jemand helfen, den sie bereits länger kannte. Jemand wie Clive.
Sie hatte die Telefonnummer aufbewahrt, die er ihr gegeben hatte. Ein Geschäftsanschluss, hatte er gesagt, aber die Frau, die sich meldete, klang zu neugierig für eine Sekretärin. Clive sei nicht im Haus, werde aber zurückrufen. Das tat er, noch bevor der Tag um war.
»Helen!«
Seine Stimme klang distanziert-höflich, und sie wusste sofort, dass sie einen Fehler gemacht hatte. »Wie schön, dass du dich gemeldet hast.«
Entweder hörte jemand mit, oder er war geradezu bestürzt, dass sie ihn kontaktiert hatte. »Du rufst bestimmt wegen dem Ehemaligentreffen im King’s an?«
Es gab kein Ehemaligentreffen, was bedeutete, dass er das nur sagte, weil jemand neben ihm stand.
»Ich fürchte, ich kann leider nicht kommen. Meine Frau – ich glaube, du hast vorhin mit ihr gesprochen, sie unterstützt mich freundlicherweise als Sekretärin – und ich machen eine besondere Reise, um unseren Hochzeitstag zu feiern. Aber nett von dir, dass du dich gemeldet hast. Ich hoffe, das Treffen wird ein Erfolg.«
Helen legte den Hörer auf und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie entschloss sich für das Erste, bis ihr klar wurde, dass es zu tragisch war, um es für sich zu behalten. Maggy hatte nie viel für Clive übrig gehabt (»Der hat etwas an sich, Süße, das mir sagt, dass er nur an sich selbst denkt«), aber ihre Freundin ging nicht ans Telefon.
Merkwürdig. Helen versuchte bereits seit über einer Woche, sie zu erreichen – vielleicht war sie auf die Insel gefahren, wo sie noch nicht dazu gekommen war, einen Telefonanschluss installieren zu lassen. Aber Maggy war schon immer Herrin über ihr eigenes Schicksal. Sie würde sich bestimmt bald melden.
Der Anruf kam zwei Tage später. Es war ein Cousin von Maggy. Ein recht netter Mann, den Helen vor Jahren auf einer Feier kennengelernt hatte und der nun mit sehr leiser Stimme sprach – auf eine Art, in der gewöhnlich schlechte Nachrichten überbracht wurden. Maggy habe verschiedene Tabletten geschluckt, erklärte er. Sie habe sich über ihre Beziehungen im Krankenhaus falsche Rezepte besorgt, ausgestellt auf alle möglichen Namen, selbst auf den von Caroline.
Maggy hatte alles sehr sorgfältig geplant. Ihren Hund, den sie schon seit Jahren besaß, hatte sie in Pflege gegeben. Die Tat selbst ereignete sich auf der Insel. Der Gärtner fand sie. Offenbar lag sie neben dem Lavendelbeet. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie, dass sie es nicht im Ferienhaus habe tun wollen, das sie einem Patensohn hinterließ.
»Warum?«, fragte Helen, zu sehr unter Schock, um zu weinen.
Maggys Cousin klang verlegen. »Im Brief steht, dass sie das Gefühl habe, dass sie niemandem etwas bedeute. Als ihre letzte Beziehung vor kurzem in die Brüche ging, war das wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Alkohol war auch keine Hilfe. Meiner Meinung nach verzerrt er nur die Realität.«
Helen hatte nichts von Maggys letzter Beziehung gewusst. Mit schlechtem Gewissen dachte sie an die letzten Gespräche, die sie mit ihrer Freundin geführt hatte. Dabei war es immer nur um sie und Bob gegangen.
Die Beisetzung fand auf der Insel statt, und Helen fuhr allein hin, ohne den Mädchen etwas davon zu sagen. Anderenfalls hätten sie mitkommen wollen, und das wäre sicher für beide verstörend gewesen.
Anschließend wurde das Testament verlesen. Maggy war eine wohlhabende Frau gewesen, und obwohl Helen es sich nur ungern eingestand, konnte sie nicht anders, als zu hoffen, dass Maggy sie berücksichtigt hatte. Maggy hatte gewusst, wie schwierig Helens Situation war, und Helen hatte sogar kurz davor gestanden, ihre Freundin um Hilfe zu bitten. Da, schon wieder. Wie egoistisch von ihr!
Darum war es, sagte Helen sich, nur richtig, dass Maggy in ihrem Testament alle ihre Patenkinder großzügig bedacht hatte, Caroline und Grace inbegriffen. Ihren Schmuck vermachte sie allerdings Helen, die ihn wohl würde verkaufen müssen.
Aber wenigstens konnte man Helen nicht die Erinnerungen nehmen oder die Lektionen, die sie daraus lernte. Das Bild von Maggy, die mit ihrer lustigen Zahnlücke lachte, kam ihr kurz in den Sinn.
Auf der Rückfahrt mit der Fähre, wo Helen den Schmuck einem anderen Cousin von Maggy verkaufte, fasste sie einen
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