Perlentöchter
Land.
Caroline verbrachte die Weihnachtsferien zu Hause, weil Simon zu seinen Eltern nach Stockport gefahren war. Doch nicht nur das genoss Helen in vollen Zügen: Das Wunderbare an Richards Besuch war, dass sie abends nach dem Essen alle vier um den Tisch saßen und sich über die Familie unterhielten.
Selbst Grace lauschte gebannt, als Helen ein paar Geschichten erzählte, die sie von ihrer Mutter wusste und die sie noch verschwommen in Erinnerung hatte. Wie jene von Yolky, dem Orang-Utan, den sie auf Borneo als Haustier hielten und den einer von Helens Brüdern mit Eiern überfütterte, sodass er krank wurde und irgendwann in den Dschungel verschwand, ohne jemals wieder zurückzukehren. Oder jene von der Schlange, der Großvater Charles vor dem Bungalow den Garaus machte, an derselben Stelle, wo Großmutter Rose für ein Foto posiert hatte, sehr elegant mit ihrem weißen Hut und den Perlen. Gemeinsam betrachteten sie auch eine andere Aufnahme von Rose, immer noch gelassen und schön, vor einem Schiff, während sie ein kleines, braunes Kind an der Hand hielt: Helen fragte sich manchmal, ob der Umstand, dass sie in der Sonne schnell braun wurde, darauf zurückging, dass sie in einem tropischen Klima aufgewachsen war.
Richard, dessen malaiische Mutter aus bescheidenen Verhältnissen stammte, fand das alles offenbar sehr spannend, und Helen sah an den Gesichtern der Mädchen, dass sie nicht geahnt hatten, was alles hinter ihrer Familie steckte. Wenn doch nur Rose hier sein könnte! Dann würde ihre Familie vielleicht gefestigter sein. Wenigstens hatte Helen noch ihre Brüder. Sie bekam sie zwar selten zu sehen, aber sie telefonierte mit allen drei regelmäßig. Sie hoffte nur, dass Caroline und Grace, die momentan nicht besonders gut miteinander auskamen, sich annähern würden, wenn sie älter waren.
Wieder ein Weihnachten, das kam und ging. Grace hatte sich überreden lassen, mit der Schule weiterzumachen, obwohl Helen sich manchmal fragte, ob sie das Richtige getan hatte. Im Gegensatz zu Caroline fiel es ihrer Jüngsten schwer, sich auf die Schule zu konzentrieren. Sie sah lieber fern oder hörte in ihrem Zimmer ihre Musikkassetten rauf und runter, wenn sie nicht gerade um die Häuser zog.
»Dad hat eine Freundin«, verkündete Grace eines Tages unerwartet, als sie von ihrem Sonntagstreffen mit Bob nach Hause zurückkehrte. Diese Neuigkeit erreichte Helen, als sie gerade in dem kleinen Vorgarten Unkraut zupfte, eins der wenigen Dinge, die ihr Vergnügen bereiteten. Sofort hielt sie inne, die Harke mitten in der Luft.
»Ach ja?« Helen versuchte, normal zu klingen, als wäre es überhaupt kein Problem zu erfahren, dass der eigene Exmann wieder mit jemandem zusammen war. Die bloße Vorstellung kam ihr absurd vor, aber was hatte sie erwartet? »Ist sie nett?«
Grace zuckte mit den Achseln. »Sie ist ganz okay. Sie kommt aus Schottland.«
Dann hatte Bob sie miteinander bekannt gemacht? Es musste wohl etwas Ernstes sein. Wie sieht sie aus? Wie alt ist sie? Was macht sie beruflich? Helen hätte das alles gerne gefragt, aber Grace lief bereits die Treppe hoch und knallte oben ihre Zimmertür hinter sich zu.
Als ihre Älteste anrief, musste Helen sich beherrschen um nicht zu fragen, ob Caroline auch schon die neue Freundin ihres Vaters kennengelernt habe. Was für ein alberner Ausdruck in diesem Alter! Aber Caroline hatte andere Dinge, über die sie reden wollte. »Simon und ich haben ein Datum festgelegt.«
Helens Herz rutschte tiefer.
»Das ist schön, Liebling«, erwiderte sie vorsichtig. »Wann?«
»In drei Monaten.«
So bald? »Aber das gibt uns nicht viel Zeit. Du bist doch nicht …«
»Nein, Mummy, bin ich nicht.«
Helen wurde sofort verlegen. Caroline wusste bis heute nicht, dass sie schon sieben Monate nach der Hochzeit ihrer Eltern geboren worden war.
»Wir möchten einfach heiraten, und jetzt, wo Simon den neuen Job hat, scheint es der richtige Zeitpunkt zu sein. Mit Maggys Geld können wir eine Anzahlung für eine Wohnung leisten und eine Hypothek aufnehmen.«
Sie hatten alles durchgeplant. Helen spürte widerwillig Bewunderung, und trotzdem konnte sie sich nicht überwinden, diesen wichtigtuerischen jungen Journalisten sympathisch zu finden, der offenbar eine Stelle als stellvertretender Kulturredakteur bei einer Boulevardzeitung ergattert hatte, die Helen nur über ihre Leiche kaufen würde.
»Dad hat gesagt, dass ich hoffentlich nicht von ihm erwarte, dass er die Hochzeit
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