Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
Vom Netzwerk:
Entschluss. Es war höchste Zeit, dass sie ihr Leben lebte, statt es zu vergeuden.

40
    Das Leben ging weiter. Es musste. Helen konnte sich vage erinnern, dass Tante Phoebe etwas Ähnliches einmal am Telefon gesagt hatte, nachdem Rose gestorben war. Nun erkannte sie, dass in dieser hohlen Phrase mehr Wahrheit steckte, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
    Jeden Morgen nach dem Aufwachen schlug ihr die Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte, wie eine Welle am Strand ins Gesicht. Sie hatte Bob gezwungen zu gehen, weil sie dachte, er mache sie unglücklich, nehme ihr die Luft zum Atmen. Aber nun war er weg, und sie war immer noch unglücklich, immer noch unfähig zu atmen. Tatsächlich bekam sie manchmal so heftige Schmerzen in der Brust, dass sie nicht einmal imstande war, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Aber das Schlimmste war, dass sie den beiden Mädchen ihren Vater vorenthielt. In ihrer Naivität hatte sie geglaubt, dass Caroline alt genug war, damit klarzukommen, nun, da sie aus dem Haus war und studierte. Aber stattdessen fiel ihrer Tochter nichts Besseres ein, als sich mit einem großspurigen jungen Mann zu verloben, den sie während eines Praktikums bei einer Londoner Zeitung kennengelernt hatte.
    »Helen« hatte dieser Simon bei ihrer ersten Begegnung sie plump genannt statt »Mrs Green«. Wie unhöflich!
    Helen ahnte, warum ihre Tochter beschlossen hatte, sich so früh zu binden. Sicherheit. Es lief alles auf Sicherheit hinaus. Wie Helen brauchte Caroline das Gefühl von Sicherheit im Leben, und hätte Helen ihr nicht den Boden unter den Füßen weggezogen, indem sie eine Situation provozierte, die Bob keine andere Wahl ließ als zu gehen, hätte Caroline vielleicht nicht so überstürzt gehandelt. Helen war außerdem überzeugt, dass Caroline immer noch Thomas nachtrauerte, und im Nachhinein fragte sie sich, ob sie sich zu sehr eingemischt hatte als sie ihrer Tochter den Umgang mit dem Jungen verbot.
    Immerhin war Caroline nicht schwanger. Vielleicht würden die beiden ja gar nicht wie geplant heiraten.
    Währenddessen musste es weitergehen. Grace war fast sechzehn und redete davon, die Schule abzubrechen. Das durfte Helen nicht zulassen! In ihrer Verzweiflung schrieb sie an Bob und bat ihn, mit Grace bei einem ihrer Sonntagstreffen zu reden, erhielt aber keine Antwort. Hatte er eine neue Beziehung? Der Gedanke verursachte ihr ein seltsames Gefühl im Magen, obwohl sie Bob nicht zurückhaben wollte. Auf eine unheimliche Art konnte sie nicht anders, als ihn immer noch zu lieben, obwohl sie nicht mehr verliebt in ihn war.
    »Und, schon einen neuen Mann kennengelernt?«, hatte eine ihrer Kolleginnen sie im Büro gefragt, und Helen musste die Frage verneinen. Die Angebote, sie mit alleinstehenden Brüdern oder Onkeln bekannt zu machen, waren allmählich versiegt, nachdem sie anfangs immer hartnäckig, aber höflich abgelehnt hatte. Selbst jetzt fühlte Helen sich noch nicht bereit, aber gleichzeitig wollte sie auch nicht für den Rest ihres Lebens allein bleiben. Wie machten das andere Frauen in ihrer Situation? Wenn es doch nur mehr davon gäbe, könnte sie es vielleicht herausfinden, aber sobald sie erwähnte, dass sie geschieden war, wie neulich beim Plausch mit einer anderen Mutter auf dem Elternabend, kühlte die Atmosphäre deutlich ab. Die Mutter war ihr anschließend geschickt ausgewichen, als hätte Helen eine ansteckende Krankheit, und sie war sich schrecklich billig vorgekommen.
    In der Zwischenzeit kam ein Brief von ihrem Bruder Frank. Richard, sein Sohn, wollte England besuchen – ob Helen ihn für eine Weile aufnehmen könne? Caroline, die in den Ferien zu Hause war, erklärte sich bereit, Richard am Bahnhof Paddington abzuholen, und kehrte mit einem großen, schmalen, dunkelhäutigen jungen Mann zurück, der in einer Hand einen Stock trug und in der anderen einen großen Koffer. Wie grausam, dass so ein hübscher Junge an Kinderlähmung erkrankt war! Aber er selbst schien sich offenbar nichts daraus zu machen. Er hatte immer ein breites Lächeln im Gesicht und war so höflich und zuvorkommend, dass er die missgelaunte Grace beschämte. Richards Auftauchen führte in der Nachbarschaft sicher zu Gerede, erst recht, als Helen ihn als ihren Neffen vorstellte. Ende der Siebzigerjahre mussten Farbige mit gemischten Reaktionen auf der Straße rechnen, und als Helen eines Tages mit Richard in Ealing unterwegs war und er angespuckt wurde, schämte sie sich zum ersten Mal für ihr

Weitere Kostenlose Bücher