Perlentöchter
Kopf.
Und nun würde sie mit einer Person sprechen, die ihr vielleicht sagen konnte, was die Zukunft für sie bereithielt. Nachdem sie mit den Tagebüchern ihrer Großmutter und den Briefen ihrer Mutter und der seltsamen, aber hypnotisierenden Diana so viel Zeit in der Vergangenheit verbracht hatte, schien es irgendwie das Richtige zu sein. Selbst wenn sich alles nur als Quatsch entpuppte.
Petunia, sicher nicht ihr Geburtsname, war nicht das, was Caroline erwartet hatte. Laut der Broschüre im Wartezimmer stammte Dianas Freundin aus Malaysia. Sie hatte eine kleine Praxis in der obersten Etage eines vierstöckigen weißen Regency-Gebäudes, das in einer kleinen Sackgasse lag, und bot außerdem Aromatherapie, Reiki, Fußmassage und die Sorte von ausgefallenen Behandlungen an, die man vielleicht in Richmond erwartet hätte, aber nicht in einer Stadt, in der es überdurchschnittlich viele Gehhilfen und Hörtest-Angebote gab. In der Tat, dachte Caroline, diese Stadt steckte voller Überraschungen.
»Treten Sie bitte ein«, sagte eine Stimme, nachdem Caroline nervös an die Tür geklopft hatte. In dem Raum, hinter einem Tisch, saß eine kräftige Frau, vermutlich Ende fünfzig und gemischtrassischer Herkunft. Sie hatte ein fröhliches rundes Gesicht, als läge ihr ständig ein Witz auf den Lippen, aber gleichzeitig schienen ihre Augen Caroline mit ihrer Schärfe zu durchdringen.
»Setzen Sie sich.« Die Frau sprach korrektes Englisch mit einem leichten Akzent, der sich nicht einordnen ließ. »Möchten Sie ein Glas Wasser?«
Und bevor Caroline antworten konnte, dass sie keinen Durst habe, stand ein Glas Wasser mit einer Zitronenscheibe vor ihr, das sie in einem Zug leertrank, wobei sie feststellte, dass sie doch durstig gewesen war.
»Gut.« Petunia nickte anerkennend. »Sie müssen mehr Flüssigkeit zu sich nehmen, wenn Sie gestresst sind.«
»Dann hat Diana Ihnen alles erklärt?«
»Nicht alles. Sie hat nur gesagt, dass Sie gewisse Prioritäten klären müssen. Ist das richtig?«
Die schwarzen Augen durchbohrten Caroline, und sie fühlte sich unbehaglich und geborgen zugleich.
»Ich muss wissen, welche Richtung ich als Nächstes einschlage.« Die Worte kamen von selbst heraus, als hätte sie keine Kontrolle darüber. »Ich habe viel über meine Vergangenheit herausgefunden und Dinge erfahren, von denen ich nichts ahnte. Und nun muss ich wissen, welchen Weg ich von hier aus nehme.«
Petunia lächelte, dann nahm sie ein Kristallpendel in die Hand, das an einer langen Schnur baumelte. Erst jetzt bemerkte Caroline die großen schwarzen und weißen Karten, die vor ihr auf dem kleinen Tisch ausgelegt waren. »Haben Sie schon einmal von einem ›Clearing‹ gehört?«
Caroline schüttelte den Kopf.
»Bei einem Clearing geht es darum, Blockaden zu lösen, die ganze Generationen über viele Jahre hinweg heimsuchen können. Ihnen ist doch sicher bewusst, dass wir alle schon einmal gelebt haben?«
Na großartig, dachte Caroline. Diana hat mich zu einer Verrückten geschickt.
»Ich sehe, dass Sie mir nicht glauben. Das macht nichts. Sagen Sie mir die Namen der Menschen, die Sie lieben.«
Unwillkürlich zählte Caroline alle auf. Scarlet. Die Zwillinge. Simon, obwohl er nicht der Erste auf ihrer Liste war. Ihre Schwester. Ihren Stiefvater, der wieder geheiratet hatte, was in dem Testament ihrer Mutter nicht berücksichtigt war. Ihre schottische Stiefmutter, die zwar nett war, die aber nie ihre Mutter ersetzen würde. Und ihren Vater, der, wie sie inzwischen erkannt hatte, ein Opfer des gesellschaftlichen Klimas war, weil er ihre Mutter hatte heiraten müssen, nachdem er sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, obwohl sie eindeutig nicht zusammenpassten.
»Darf ich auch die nennen, die gestorben sind?«
Petunias Augen wurden groß. »Aber natürlich. Sie sind schließlich immer noch unter uns.«
Das war verrückt! Trotzdem hörte sie sich weiterreden und dieser Fremden die Namen der Verstorbenen nennen. Ihre Mutter natürlich. Und ihre Großmutter, obwohl sie sie nicht gekannt hatte. Selbst ihren Großvater mütterlicherseits. Alten Fotografien nach zu urteilen war er ein untersetzter Mann gewesen mit einem strengen Gesicht und schwarzen, ineinander verwobenen Augenbrauen, die von Temperament zeugten. Sandra, die sie lieber »Oma« genannt hätte, damit sie wie die anderen Mädchen von der Schule sein konnte, die ihre Großmutter nicht beim Vornamen rufen mussten. Tante Phoebe, die nicht so war, wie sie nach außen
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