Perlentöchter
antwortete Grace ausweichend. »Und bevor du fragst, nein, er ist nicht verheiratet. Zu jung.«
»Ein Lustknabe?«
»Du bist so was von altmodisch, Caro. Würdest du die Zeitung lesen, für die dein Mann schreibt, wüsstest du, dass man das heute nicht mehr so nennt.«
»Und wie nennt man es dann?«
»Keine Ahnung. Hör zu, spielt das eine Rolle? Was sind schon zehn Jahre oder so?«
Caroline war sich nicht sicher, ob Grace einen Scherz machte.
»Und, was ist mit Simon? Kommt er nun runter oder nicht?«
»Am Wochenende.«
»Dann pass auf, dass du dich nicht von ihm einlullen lässt. Dieser Mann steht tief in deiner Schuld. Und wenn du zu dieser Hellseherin von deiner neuen Freundin gehst, vergiss nicht, sie wegen mir zu fragen. Wenn sie es draufhat, komme ich vielleicht runter und höre mir das selbst an. Nicht, dass ich an solche Sachen glauben würde, bestimmt nicht. Aber vielleicht kann sie mir ein paar Tipps geben, wie ich mit den verdammten Franzosen weiterkomme. Habe ich dir von dem letzten Vertrag erzählt?«
Dianas Bekannte hatte sich bereit erklärt, Caroline am Freitag zu empfangen, einen Tag bevor Simon kommen wollte. Caroline und die Kinder waren nun seit über einem Monat hier, und sie bekam allmählich das Gefühl, als wäre sie schon immer hier gewesen. In den Geschäften wurde sie inzwischen nicht mehr gefragt, ob sie hier Urlaub mache, und die Bäckersfrau hatte sich angewöhnt, Käsestangen zur Seite zu legen, die Scarlet zum Abendessen liebte, während die Jungs die berühmten einheimischen Fleischpasteten hinunterschlangen. Caroline selbst schreckte nicht mehr hoch, wenn die Seemöwen morgens um sechs zu kreischen begannen, sondern blieb kurz in ihrem Bett unter dem Dach liegen, um ihnen zu lauschen.
Ein- oder zweimal griff sie sogar zum Telefon in der Absicht, mit diesem Mädchen zu reden, das den ganzen Schaden angerichtet hatte. Wie seltsam, dass sie dieser Tessa die Schuld gab, obwohl ihr gesunder Menschenverstand ihr sagte, dass ihr Mann nicht hätte darauf eingehen müssen. Aber wenn sie die Nummer wählte, begann sie zu zittern, und eine leise innere Stimme sagte ihr, dass dies keine gute Idee war. Diana war derselben Ansicht. »Falls Sie ihn zurückhaben möchten, und die Betonung liegt auf ›falls‹, dürfen Sie nicht für Unruhe sorgen. Zu meiner Zeit waren wir auf einem Auge blind, wenn unsere Männer fremdgingen. Es war auf diese Art viel einfacher – je weniger man darüber sprach, desto besser.«
Umsonst wies Caroline darauf hin, dass ihre Generation das anders handhabe, weil sie stattdessen an Ehrlichkeit glaube.
»Da können Sie mal sehen, wo das hingeführt hat.« Diana war bei ihrer dritten Zigarette des Abends und ihrem zweiten Whisky. »Zerrüttete Familien, während Kinderpsychologen Hochkonjunktur haben.«
Sie hatte nicht unrecht. Die Kinder wurden allmählich unruhig und löcherten Caroline immer öfter, wann ihr Dad kommen würde und warum das so lange dauerte. Es gab Geheimnisse, die man nur für eine gewisse Zeit behalten konnte.
Manchmal sehnte sie sich zurück nach London in ihr altes Haus, nach der Wärme der honigfarbenen Dielen. Nach ihren Freunden. Nach ihrem Yoga-Kurs einmal in der Woche. Aber dafür kam sie hier zum Malen! Jeden Morgen, wenn sie von den Möwen geweckt wurde (weitaus angenehmer als der schrille Piepton des Weckers), lief sie eine flotte Runde am Strand mit Wilfred. Sie musste zwar den Hauptstrand meiden, weil Hunde im Sommer dort nicht erlaubt waren, aber ein Nachbar hatte ihr erklärt, wo man Hunde laufen lassen durfte, und Caroline liebte es, durch den Kies zu stapfen, während Wilfred an Seetang schnüffelte und an schleimigen Fischresten, die an den Strand gespült worden waren. Sie liebte es auch, mit den Fischern zu plaudern, die im Hafen ihre Ware verkauften, und die salzige Luft einzuatmen. Danach kehrte sie zum Haus zurück, wo die Kinder noch schliefen, und stieg hinauf zum Dachboden, wo ein großes Fenster für perfektes Licht sorgte. Dort oben, auf ihren Leinwänden, waren all die Motive, die sie ausprobiert hatte – der Hafen, der Strand, die Art, wie das Morgenlicht sich kreuz und quer auf der Wasseroberfläche brach, die Fischer, die sich Taschenlampen um die Stirn banden, damit sie nachts bei der Arbeit besser sehen konnten.
Das war etwas völlig anderes als ihre hübschen Blumenmotive, die landesweit in Warenhäusern verkauft wurden. »Als würde man eine neue Stimme finden«, summte eine andere Stimme in ihrem
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