Perlentöchter
Scarlet sich daran gewöhnt hatte, dass er nie zu Hause war. Vielleicht war das ein Grund mehr, dass ihre Tochter die Wahrheit erfahren sollte.
»Sag es ihr«, erklang eine Stimme in ihrem Kopf, die sich anhörte wie Tante Phoebe. »Sag es ihr.«
Caroline konzentrierte sich angestrengt auf die Reihe der Segelboote, die über das Wasser flitzten. Ihr kam in den Sinn, dass sie wie ein Riss im Horizont aussahen oder vielleicht wie eine hellblaue Wand.
»Tatsächlich, mein Schatz, ist es nicht so einfach.« Sie hob ein Bein über die Mauer und zog das andere nach, um sich neben ihre bezaubernde Tochter zu setzen, die fast größer war als sie. »Ich muss dir von einem Mann erzählen. Sein Name war … ist … Thomas.« Sie schlang den Arm um die Schulter ihrer Tochter. »Ich war ungefähr in deinem Alter, als ich ihn kennenlernte.«
Nach der ersten Fehlgeburt damals vor all den Jahren hatte Simon sich verändert. »Es ist deine Schuld«, hatte er mit blitzenden Augen gesagt. »Wärst du nicht ständig durch die Gegend kutschiert, um neue Aufträge an Land zu ziehen, wäre das vielleicht nicht passiert.«
Caroline war entsetzt gewesen. »Und was ist mit dir? Du bist nie hier! Wie soll ich denn schwanger werden, wenn du ständig im ganzen Land unterwegs bist für deine Live-Berichterstattungen?«
In jener Nacht hatten sie in getrennten Betten geschlafen, und Caroline lag die ganze Nacht wach und fragte sich, wie ihr Leben derart aus den Fugen geraten konnte. Dies war monatelang so weitergegangen, bis sie eines Tages unwillkürlich zum Hörer griff und einfach die Telefonauskunft anrief. Zu ihrem Schreck und gleichzeitig auch zu ihrer Begeisterung hatte sich Thomas’ Adresse nicht geändert. Er sagte Ja, als sie ihm ein Treffen vorschlug. »Ich bin gerade frei. Es gibt einen netten kleinen Pub auf halber Strecke zwischen dir und mir.«
Es war so einfach gewesen. Thomas war immer noch groß, aber nicht mehr so schlaksig und unbeholfen wie früher, und er freute sich aufrichtig, sie wiederzusehen. Es tat so gut, mit ihm über die Fehlgeburt zu reden und über diesen Mann, den sie geheiratet hatte und der sich als ein anderer entpuppt hatte. Und als Thomas bei ihrem Lunch in dem kleinen Pub außerhalb von Amersham mitfühlend ihre Hand drückte, fühlte sie sich gleich viel besser.
»Warum haben wir uns eigentlich aus den Augen verloren?«, fragte er leise beim anschließenden Kaffee, nachdem er ihr von seiner eigenen Ehe erzählt hatte, die zwar nicht berauschend war, aber die er, wie man ihm zugestehen musste, trotzdem nicht zu beenden beabsichtigte.
»Ich weiß es nicht«, gab sie leise zurück.
Später fand sie keine Entschuldigung dafür, aber zu diesem Zeitpunkt, vielleicht aufgrund der drei Gläser Wein, die sie getrunken hatte, ergab das alles vollkommen Sinn. »Ich kenne ein Hotel gleich hier in der Nähe«, sagte er auf eine Art, die vermuten ließ, dass er es fast zu gut kannte, aber in ihrer Freude darüber, jemanden wiederzusehen, der ihre ganze Geschichte kannte und den sie geliebt hatte, wirklich geliebt, schien das keine Rolle zu spielen.
Es war, wie auf einer Welle zu reiten – einer Welle, auf der sie zuvor schon geritten war, aber dieses Mal wurde sie von ihr übermannt. Erstickt auf eine wundervolle Art. Das war also gemeint, mit »sich fortreißen lassen«. Es war also wirklich echt gewesen vor all den Jahren. Simon war, trotz seines Charismas und seines guten Aussehens, die andere Version, so wie ihr Vater das für ihre Mutter gewesen war.
Im darauffolgenden Monat blieb ihre Periode aus. Es hatte keinen Sinn, wie Tante Phoebe ihr mit eisernem Blick erklärte, es Thomas zu sagen. Er habe schließlich seinen Zweck erfüllt, und außerdem sei es doch sicher nicht ihre Absicht, zwei Ehen zu zerstören, oder? Also befolgte sie, starr vor Angst, den Rat ihrer Großtante und verführte Simon kurze Zeit später, damit er mit ihr schlief und sie das Kind als seins ausgeben konnte.
»Die beste Lösung, wenn du mich fragst«, bemerkte ihre Großtante, während sie ihre Zigarette rauchte und auf den tadellos gepflegten Rasen des alten Herrensitzes hinausstarrte. Sie berührte beim Reden ihre Perlen, eine Angewohnheit, die immer öfter bei ihr zu beobachten war, jedenfalls kam es Caroline so vor. »Du hast jetzt dein Baby.«
Ihre Worte hingen schwer in der Luft, und Caroline dachte traurig an die vielen hübschen Strickjäckchen, die sich in der schweren Mahagonikommode im Gästezimmer stapelten. Als
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