Perlentöchter
Schwester erklärt habe.«
»Ich weiß, ich weiß.« Grace schlenderte zu dem runden Bridgetisch und fuhr mit dem Finger über das Mahagoniholz. »Schulden. Pferdchen. Solche Dinge. Anscheinend hat sie die Spielleidenschaft ihrer Mutter geerbt, dem Papierfetzen nach zu urteilen, den sie mir hinterlassen hat zusammen mit einem Scheck, der kaum für ein Jahr Tierfutter reicht. Unverschämt nenne ich das.«
»Grace …«, begann Caroline.
»Was?« Die Augen ihrer Schwester blitzten gefährlich. »Es ist doch wahr, oder nicht? Sie hat alles für ihre Pferdewetten auf den Kopf gehauen. Dabei wäre das Mindeste gewesen, was sie hätte tun können, uns zu entschädigen.«
»Das reicht.« Caroline ertappte sich dabei, dass sie vor lauter Verlegenheit beinahe zischte. Zu ihrem Erstaunen verstummte Grace tatsächlich. Manchmal musste man ihr Paroli bieten. Aber manchmal machte das alles nur schlimmer.
»Ich dachte, Sie möchten sich vielleicht in Ruhe umschauen.« Der Notar bewegte sich bereits diplomatisch auf die Tür zu. »Ich bleibe in der Nähe, falls Sie Fragen haben zu den Preisen. Das gesamte Inventar wurde geschätzt. Die Preise sind also fair bemessen.«
»Klar«, murmelte Grace, »obwohl rechtmäßig alles uns zusteht.«
Dabei fiel Caroline etwas ein. »Ich muss mich ja auch für unsere Cousins und Cousinen umsehen. Ein paar haben mich nämlich per E-Mail gebeten, ihnen das eine oder andere Objekt zu sichern.« Sie lächelte den Notar an in der Hoffnung, dass er verstand. »Sehen Sie, Rose, unsere Großmutter, hatte vier Kinder. Sie sind alle recht jung gestorben, mit einer Ausnahme. Unsere Mutter war die Zweitjüngste, und Phoebe hat sie und Onkel Frank großgezogen, der damals erst vier war, als Rose starb. Darum bedeutet es uns sehr viel, etwas zu haben, was ein Teil der Familie ist.«
Davids Gesicht wurde weich. »Ich verstehe.«
Zwei Stunden später hatte Grace sechs Polsterstühle aus Walnussholz ausgesucht, eine Frisierkommode aus Mahagoniholz und eine Fotografie, die Tante Phoebe bei ihrer Vorstellung bei Queen Mary zeigte. Wie sie das alles in ihrem Einzimmerapartment in South Kensington unterbringen wollte, war ein Rätsel. Caroline stand immer noch in der Bibliothek, eine eher großzügige Bezeichnung für einen kleinen Raum neben dem Salon, und konnte sich nicht entscheiden. Die Jane-Austen-Bücher waren natürlich ein Muss. Und auch die Sammlung von Yeats, dessen Gedichte sie schon immer geliebt hatte. Und vielleicht auch dieses Buch hier, und sei es nur wegen des hübschen, blau-rot marmorierten Einbands. Sie schlug die staubigen Seiten auf und atmete gierig den muffigen Geruch ein, als sie plötzlich überrascht stutzte.
Dies ist das Tagebuch von Rose Francis Grace. 1905
Roses Tagebuch? Caroline spürte, wie ihr kurz der Atem stockte, und sie blickte zu dem Porträt auf dem Tisch ihrer Großtante. Es stand dort, solange sie zurückdenken konnte. »Meine Schwester«, hatte Tante Phoebe früher immer gesagt, als hätte sie vergessen, dass Rose zugleich Carolines Großmutter war. Sie war eine bildhübsche Frau gewesen, so selbstsicher mit ihrer römisch anmutenden Nase und dem fast hochmütigen Ausdruck, als betrachte sie etwas außerhalb des Bildes. Ihre Haare waren mit der Brennschere gewellt, wie es vermutlich der damaligen Mode entsprach, und sie trug sie kurz, sodass die großen Perlenohrringe, die gut zu ihrem getupften Kleid passten, unglaublich elegant wirkten.
Die meisten Mädchen an ihrer Schule hatten zwei Großmütter, während Caroline nur mit einer aufgewachsen war, die keine typische Oma war. Rose war die andere Großmutter, über die sie so gut wie nichts wusste, abgesehen von den paar verschwommenen Details, die sie von ihrer Mutter erfahren und denen sie damals nicht genug Beachtung geschenkt hatte. Und hier nun war Roses Tagebuch! Während Caroline begierig durch die schweren, alt riechenden Pergamentseiten blätterte, konnte sie an den Datumseinträgen sehen, dass das Tagebuch aus der Kindheit ihrer Großmutter stammte.
Und es gab noch mehr davon. Eine ganze Reihe. Ein Buch für jedes Jahr bis 1941, ein Jahr bevor Rose mit nur vierundvierzig Jahren gestorben war. Wie außergewöhnlich! Caroline ertappte sich dabei, dass sie die Buchrücken streichelte wie neugeborene Babys.
»Ich wollte Sie Ihnen gerade zeigen«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Verzeihen Sie mir, aber ich liebe alte Bücher, und ich konnte nicht widerstehen, selbst einen Blick hineinzuwerfen. Gehören
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