Perlentöchter
sie jemandem, den Sie kennen?«
»Meiner Großmutter Rose. Tante Phoebes Schwester. Die, die jung gestorben ist, weshalb Tante Phoebe meine Mutter großgezogen hat.«
Die Worte purzelten aus ihrem Mund, als würde ein anderer sie sprechen.
»Dann stehen die Tagebücher Ihnen zu.«
»Muss ich sie nicht bezahlen?«
Die Augen des Notars funkelten. »Vielleicht möchten Sie ja eine kleine Spende machen. Gibt es denn noch etwas, was Sie haben möchten? Etwas von der Einrichtung vielleicht? Auf dem Flur in der ersten Etage steht ein recht hübscher Schrank. Allerdings liegt der Schätzpreis bei zweieinhalbtausend.«
»Nein, danke.« Caroline hielt das erste Tagebuch an die Brust. »Wir haben genug Möbel zu Hause. Aber die Tagebücher nehme ich gerne.«
»Was willst du mit einem Stapel alter, verschimmelter Bücher?«, fragte Grace naserümpfend, als sie auf dem Rückweg über die Autobahn waren. Sie hatte die Lieferung und auch, ziemlich widerwillig, die Zahlung der von ihr ausgewählten Sachen veranlasst und warf nun einen verächtlichen Blick auf den Karton, den Caroline auf den Knien trug, weil sie, ungewohnt stur, sich geweigert hatte, ihn in den Kofferraum zu stellen. Es kam ihr vor, dachte Caroline, als könnte sie es nicht ertragen, von den Tagebüchern getrennt zu werden, so wie es ihr widerstrebte, das Perlencollier nachts abzunehmen. Sie waren eine Verbindung, eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit, die nun niemand mehr füllen konnte. Onkel Geoffreys Gedächtnis war leider eingerostet, er verwechselte ständig Daten und Fakten, und außerdem wollte sie ihn nicht weiter über die Vergangenheit fragen, weil seine Augen dann immer ganz milchig wurden, als würde ihm bewusst, dass er der Letzte war von vier Geschwistern.
»Du weißt doch, dass ich Bücher liebe.« Caroline hob den Blick von dem marmorierten Einband, nachdem sie nicht hatte widerstehen können, das Tagebuch durchzublättern, während ihre Schwester am Steuer saß. Nun wäre der richtige Zeitpunkt, um Grace zu sagen, worum es sich handelte, nämlich um Roses Tagebücher! Aber wenn sie ihr das sagte, könnte Grace, obwohl sie sonst immer so tat, als hätte sie für solche Dinge nicht viel übrig, womöglich auf die Idee kommen, sich eines oder zwei auszuleihen. Und dazu war Caroline nicht bereit. Sie wollte sich heute Abend in Ruhe hinsetzen und Simon und den Kindern zeigen, was sie entdeckt hatte, damit sie ihnen erklären konnte, dass dies auch ein Teil ihres Lebens war. Ihre Großmutter musste ein ganz erstaunliches Kind gewesen sein, weil sie mit so viel Leidenschaft und Tiefblick geschrieben hatte. Manche Sätze waren wirklich außergewöhnlich.
Zum Glück schien Grace sich mit ihrer Antwort zu begnügen und schaltete gleich darauf den CD -Player an. Die Musik war laut und kreischend. Caroline tat so, als würde sie ein Nickerchen machen, und ehe sie sich’s versah, hielten sie vor ihrem Haus. »Da sind wir«, sagte Grace. »Pünktlich zurück für die Hausaufgabenkontrolle.«
Caroline ignorierte ihre Bemerkung, diesen ständigen Wink, dass sie, Grace, einen richtigen Job hatte, während Caroline nur Hausfrau und Mutter war. Simon vermutete Neid dahinter, aber selbst wenn er recht hatte, würde Caroline nicht für den ganzen Tee bei Fortnum & Mason mit ihrer Schwester tauschen wollen. Das Komische war: So scharf sich Grace immer über Phoebe äußerte, hatte sie dennoch ihre schroffe Art geerbt. Vielleicht war das auch etwas, was sich durch die Generationen zog, diese Keine-Geduld-mit-Dummköpfen -Attitüde, von der Caroline glücklicherweise verschont geblieben war.
Sie verabschiedete sich von ihrer Schwester mit einem Küsschen auf die Wange (»Nein, danke, Carrie, ein anderes Mal gerne. Hab heute Abend ein Date«) und schloss die Haustür auf. Ohrenbetäubend laute Musik aus dem Wohnzimmer deutete darauf hin, dass die Jungs zu Hause waren, während der laufende Fernseher in der Küche, der Geruch von angebranntem Toast und das aufgeregte Bellen aus dem Wirtschaftsraum darauf schließen ließen, dass Scarlet Wilfred wieder sicher nach Hause gebracht hatte.
Nicht, dass eins der Kinder sich die Mühe gemacht hätte, die Post aufzuheben oder die Milch hereinzuholen. Caroline bückte sich, um den Stapel aufzusammeln. Ein Brief vom Finanzamt an Simon, auf den er bereits wartete, eine Postkarte von ihrer besten Freundin Jenny, die nach Singapur ausgewandert war, und ein großer brauner DIN - A 4-Umschlag mit einer getippten Adresse und
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