Perlentöchter
der Hand halten und wahrscheinlich ihre elfenbeinfarbene Zigarettenspitze, die Caroline als Kind immer fasziniert hatte. Onkel Victor wäre im Gewächshaus, und sobald es die Höflichkeit erlaubte, würde Caroline zur Hintertür hinausschleichen, dem Pfad durch den Gemüsegarten folgen und nervös an die Glastür klopfen, wo Onkel Victor in seiner braunen Cordhose und dem dunkelgrünen Tweedjackett gerade Tomaten setzte oder Kompost siebte.
»Caroline, Liebes«, würde er freundlich sagen, und sie würde sich sofort besser fühlen. Als Teenager war sie von ihrer Mutter mehrmals für volle zwei Wochen zu ihrer Großtante und ihrem Großonkel geschickt worden, um die beiden besser kennenzulernen. Wenn Onkel Victor und das Gewächshaus nicht gewesen wären – und natürlich nicht zu vergessen die Jane-Austen-Reihe, die die Wand in ihrem Schlafzimmer säumte –, hätte sie das nicht überlebt. Es war alles so anders gewesen in der schweren, beinahe viktorianischen Atmosphäre, mit den Konversationen über bevorstehende Bridgepartien und stundenlangen Essensvorbereitungen für nur drei Personen in der riesigen Küche, die eiskalt gewesen wäre ohne den Herd, der schwach nach Paraffinöl roch. Das Mittagessen fand um Punkt ein Uhr statt, und das kleine Bush-Transistorradio mit dem grünen Bäumchen als Markenzeichen stand mitten auf dem Tisch, damit Onkel Victor die Nachrichten hören konnte. Abendessen gab es um Punkt sieben Uhr, und dann kreiste die Unterhaltung am Tisch um den Presseaufsichtsrat oder um Leute, die vor kurzem in die Gemeinde gezogen waren.
Wie seltsam, nun durch diese Eingangstür zu gehen und den Modergeruch eines unbewohnten Hauses zu atmen, die durch Tante Phoebes Abwesenheit entstandene Lücke zu spüren und zu wissen, dass Onkel Victor nicht mehr in seinem Gewächshaus war, schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Unvermittelt überkam Caroline eine große Sehnsucht. Obwohl ihre Großtante in Carolines Kindheit eine einschüchternde Gestalt gewesen war, war sie mit der Zeit umgänglicher geworden, und beide hatten gelernt, Carolines halbjährliche Besuche zu genießen.
»Caroline«, sagte eine Männerstimme, und sie fuhr leicht zusammen. »Bitte, kommen Sie herein.«
Sie spürte einen festen Händedruck. Es war der Notar, den sie nach der Beisetzung gesehen hatte, doch er machte nun einen viel jüngeren Eindruck. Er wirkte wie Mitte vierzig, obwohl das daran liegen mochte, dass er heute ein braunes Tweedjackett statt eines schwarzen Anzugs trug. »David Rolfe«, sagte er in einem angenehmen, freundlichen, beruhigenden Ton. »Wir haben uns bereits kennengelernt, falls Sie sich erinnern.«
Caroline nickte und registrierte seine straffe Kieferpartie und die leicht römische Nase, die ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Sie tat das immer. Es war, als betrachtete sie die Menschen als Formen und Farben statt wie jeder andere als Persönlichkeiten, sagte Grace immer.
»Sicher ist das für Sie genauso unangenehm wie für mich«, fuhr der Notar fort. »Es ist nicht üblich, dass Angehörige die Familienandenken auslösen müssen, aber wie Sie wissen, hat Ihre Großtante beträchtliche Schulden hinterlassen.« Sein Blick fiel kurz auf das Collier um ihren Hals und huschte schnell wieder zurück, als hätte er es nicht bemerkt. »Tatsächlich gibt es einige Objekte, die im Grunde hätten verkauft werden müssen und sich noch in Familienbesitz befinden.«
Er blickte sich um. »Ich habe eigentlich auch Ihre Schwester erwartet.«
»Da bin ich!« Wie aufs Stichwort erschien Grace im Türrahmen. »Musste nur mal kurz zwischen den Rhododendronbüschen pinkeln.«
Die Mundwinkel des Notars zuckten, und Caroline war erleichtert, dass der Mann Humor besaß.
»War bloß ein Witz!« Grace drückte ihre Zigarette in einer Obstschale von Royal Doulton aus, in der immer noch ein Apfel lag. »Rhododendren brauchen nämlich alkalischen Boden und reagieren nicht gerade positiv auf Harnsäure.« Grace ließ den Blick durch den Salon schweifen, der ohne die wunderschöne auberginefarbene Samtchaiselongue, die am Erkerfenster gestanden hatte, solange Caroline zurückdenken konnte, bereits leer wirkte. Und wo war dieser bezaubernde Intarsientisch, auf dem Tante Phoebe ihre Drinks immer aufbewahrt hatte? »Mein lieber Schwan. Sagen Sie nur, die Aasgeier waren bereits hier.«
Caroline warf David einen entschuldigenden Blick zu.
»Ich fürchte, einige Objekte sind schon verkauft, wie ich bereits Ihrer
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