Perlentöchter
ähnlich wie dich in dieser Sache mit dem Spiegel und der lästigen Lydia.«
»Aber die gab es nicht.«
»Nein, mein Liebes, ich wurde nicht bestraft. Stattdessen erklärte Sir William Giles meinem Vater in meiner Gegenwart, dass ich das Auge habe. Er sagte, dass ich seiner Überzeugung nach ein Naturtalent sei und dass er mich fördern möchte, indem er mich die Grundlagen der Malerei lehrte. Mein Vater gab seine Zustimmung, und das war es dann.«
Das war es dann? Rose kannte genug von der Geschichte, um zu wissen, dass das nicht alles war. Sir William Giles brachte ihrem Großvater tatsächlich das Malen bei, und zwar so gut, dass er später Auftragsarbeiten bekam und eine Familie davon ernähren konnte. Bis im vorigen Jahr stattete sein Förderer ihm regelmäßig Besuche ab, was Ga Gas Ansehen in der Gemeinde erhöhte, sodass viele Menschen ihn baten, sie und ihre Häuser und ihre Familien und ihre Hunde zu porträtieren.
Sir William Giles selbst hatte weiter mit Ga Ga als Modell gearbeitet und sogar mit ihrer Großmutter, damals noch eine junge Frau, bis er zu alt war, um den Pinsel zu halten. Die Porträts hingen, wie ihr damals gesagt worden war, in einer berühmten Londoner Galerie. Als Kind war sie einmal dorthin mitgenommen worden, um ihre Großmutter zu sehen, die ihr von der Wand entgegenlächelte und von wildfremden Menschen bewundert wurde. Rose hatte die junge Frau, die denselben Rotstich im Haar hatte wie sie selbst und Grace, staunend betrachtet und sich gewünscht, sie hätte sie kennengelernt.
»Da gibt es noch eine Sache, die ich dir sagen sollte.« Die Stimme ihres Großvaters wurde nun leise, während er den ersten Pfirsich, den im Vordergrund, leicht auf die Seite kippte. »Und das ist …«
Es klopfte an der Tür, und beide sahen gereizt auf. »Verzeihung, Sir, dass ich störe.« Es war das Mädchen. »Aber Doktor James hat jemanden mit einer Nachricht hergeschickt. Miss Rose möchte sofort nach Hause kommen.«
Ga Ga nickte feierlich. »Ich habe mich schon gewundert.« Er tätschelte leicht Roses Schulter. »Ich vermute, mein Liebes, dass euer Pony schon etwas früher angekommen ist.«
Rose eilte im Sauseschritt zurück. Dabei wäre sie gerne geblieben. Diese Anziehungskraft! Trotzdem hatte sie gar keine andere Wahl, so wie das Mädchen sie hinter sich her zerrte, als habe sie wieder etwas falsch gemacht. Ein schrecklicher Gedanke kroch ihr ins Bewusstsein. Was, wenn es gar nicht um das Pony ging? Angenommen, jemand hatte ihren Malkasten gefunden? Papa hatte immer wieder betont, dass ein Zuviel an Malerei für junge Damen nicht gesund sei. Daher dürfe sie nur in Maßen ausgeübt werden, genau wie das Pianofortespiel, und unter der Anleitung von Miss Hollingswood, wenngleich ihre Gouvernante unbekümmert einräumte, dass der Umgang mit dem Pinsel nicht zu ihren Stärken zählte.
Vielleicht hätte sie den Malkasten besser verstecken sollen. Aber wo? Es gab nur sehr wenige Plätze, die sich dafür eigneten.
»Sie sollen nach oben gehen«, sagte das Mädchen, als sie die Eingangshalle betraten und Rose ihre Stiefel aufknöpfte, die bei dem flotten Marsch nach Hause schmutzig geworden waren. »In das Zimmer der Herrin.«
In das Zimmer ihrer Mutter? Das war doch sicher ein Missverständnis. Grace und sie wurden nur selten in das Zimmer ihrer Mutter gebeten, außer ihr schlechtes Betragen bot Anlass dazu.
Beklommen folgte sie dem Mädchen nach oben, ohne vor dem Gemälde ihrer Großmutter mit der blauen Haube zu verharren, das von Sir William Giles stammte, wie sie das sonst oft tat.
Grace! Sie war bereits da, am Bett ihrer Mutter. War es möglich, dass ihre Schwester die Wahrheit ausgeplaudert hatte über den Malkasten? Sicher nicht.
Dennoch genügte ein Blick in das blasse Gesicht ihrer Schwester, um zu ahnen, dass etwas passiert war. Hinter ihr wurde die Tür geöffnet, und sie hörte die laute Stimme ihres Vaters. »Dann hast du dein Pony also gefunden!« Seine Stimme hatte diesen belustigten Unterton, den sie annahm, wenn Lydias Mutter zu Besuch war. »Grace hat mir erzählt, dass du zu Weihnachten ein Pony erwartest.«
Ein Pony? Roses Blick flackerte durch den Raum, über die schweren pflaumenblauen Vorhänge, die immer geschlossen waren, weil ihre Mutter es vorzog, das Tageslicht auszublenden. Sie sah zu der Frisierkommode aus massivem Mahagoniholz mit der Ansammlung von silbernen Haarbürsten. Dann starrte sie durchdringend auf die Ottomane am Fußende des Betts. Das Pony
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