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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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Zeit zu verschaffen, damit sie rasch ihre Farben wegräumen konnte. Es musste wohl etwas Außergewöhnliches geschehen sein, dachte Rose verwundert, der Röte in Graces gewöhnlich blassem Gesicht nach zu urteilen.
    »Du wirst es nicht glauben!«, wiederholte sie, während sie vor ihr herumtänzelte und die Wärme des Kaminfeuers blockierte. »Wir bekommen ein Pony! Kannst du dir das vorstellen? Ein richtiges, lebendiges Pony!«
    Rose ließ den Zeichenblock sinken, auf dem sie die gewaltige Eiche draußen im Garten skizziert und dabei leise vor sich hingesummt hatte. »Ein Pony?«
    Graces veilchenblaue Augen tanzten. »Du glaubst mir wohl nicht, wie? Du denkst, ich habe das erfunden, weil wir letzte Woche zufällig eins auf der Wiese gesehen haben.«
    »Psst.« Rose blickte nervös zur Tür, die Grace einen Spalt offen gelassen hatte. Sie durften ohne Begleitung nicht bis zur Wiese gehen, aber sie hatten sich darüber hinweggesetzt, weil Rose es überdrüssig war, die Szenerie vor ihrem Fenster abzubilden, und ein neues Motiv in der Natur suchte. Tatsächlich war sie fündig geworden – ein Seerosenteich, der sie an ein Gemälde erinnerte, das sie in Papas Zeitung gesehen hatte.
    »Pst«, machte sie wieder. »Sonst hört dich noch jemand.«
    Grace japste erschrocken, als hätte sie das Verbot vergessen, dann näherte sie sich auf Zehenspitzen dem Bett, um einen Blick auf Roses Zeichenblock zu werfen. Rose klappte ihn schnell zu. Es widerstrebte ihr, jemandem ihre Arbeiten zu zeigen, Ga Ga inbegriffen, bevor sie fertig waren. »Und woher weißt du, dass wir ein Pony bekommen?«
    Ihre Schwester warf sich auf das Bett, wobei die weiße Spitze ihres Kleids einriss. Nicht, dass es Grace stören würde. Sie würde es einfach stillschweigend selber ausbessern, um keinen Ärger zu bekommen. Ihre Fähigkeiten, mit der Nadel umzugehen, waren wirklich sehr beeindruckend. »Papa tut sehr geheimnisvoll wegen Weihnachten. Er hat gesagt, wir müssen uns unser Geschenk teilen, weil es sehr kostbar ist, und dass wir uns gut darum kümmern müssen.«
    Rose spürte einen Schauer über ihren Rücken rieseln, und das nicht nur wegen der Kälte. Vielleicht hatte Grace recht! Sie wünschten sich beide schon so lange, wie Rose zurückdenken konnte, ein Pony. Sie wusste noch, dass sie als kleines Mädchen darum gebettelt hatte, die samtene Nase des prächtigen Schimmels streicheln zu dürfen, auf dem ihr Vater seine Runden machte. Es war eines der vielen Merkmale, die Papa in seinem Umfeld hervorstechen ließen: der Umstand, dass er noch ein Pferd benutzte statt eine Kutsche. »Warum reitest du nicht selbst, meine Liebe, wenn du doch so gerne die Gestalt von Pferden studierst?«, fragte er häufig ihre Mutter, die daraufhin lediglich das Gesicht abwandte und auf eine Art lächelte, die nicht ausdrückte, dass sie amüsiert war.
    Dann kam Rose ein neuer Gedanke. Wenn sie zu Weihnachten ein Pony geschenkt bekamen, wo würden sie es unterbringen? Gab es im Stall ausreichend Platz neben Schaum, wie Papa den Schimmel wegen seiner Fellfarbe nannte?
    »Vermutlich.« Grace klang herablassend, als wollte sie sich nicht mit Details aufhalten. »Sie werden sich wohl etwas überlegen, nehme ich an.«
    »Sie« bedeutete automatisch Papa. Stillschweigend schlossen beide Mädchen ein Mitwirken ihrer Mutter bei dieser Entscheidung aus. Rose fragte sich insgeheim, ob Lydias Mutter etwas damit zu tun hatte. Sie hoffte es nicht, anderenfalls würden sie gezwungen sein, ihr Geschenk mit der abscheulichen Lydia zu teilen.
    Grace hüpfte immer noch begeistert auf dem Bett herum, und eine lange Haarsträhne fiel ihr über das Auge, sodass sie einer Meerjungfrau in einem von Miss Hollingswoods Büchern ähnelte. »Dann kannst du das Pony malen. Stell dir das vor! Und niemand wird uns mehr verbieten, nach draußen zu gehen, denn schließlich müssen wir uns ja darum kümmern, nicht wahr?«
    Plötzlich tauchte die Möglichkeit von grenzenloser Freiheit vor Roses Augen auf. Ein Pony konnte als perfekte Tarnung dienen, viel besser als der Ofenschirm, den ihre Mutter in einem früheren Leben mit Rosen bestickt hatte und der nun vor dem Kamin stand, als schmerzliche Erinnerung daran, was einmal gewesen war. Rose hatte sich einmal dahinter versteckt, um die Farben der Flammen in ihrem Skizzenblock einzufangen, bis sie von dem Hausmädchen entdeckt wurde, das aber nur lächelte und ihr erlaubte weiterzumalen. Sie hatte in den folgenden Tagen den Atem angehalten aus Angst

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