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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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so?« Erschrocken beugte sich Rose auf der Chaiselongue vor. Die Reaktion ihres Großvaters ließ vermuten, dass er es auch nicht wusste. Plötzlich begann die Aussicht auf die neu gewonnene Freiheit sich in Luft aufzulösen wie der Dampf unten in der Küche des Kochs. »Dann stimmt das gar nicht mit der Überraschung?«
    Ga Gas Worte schienen zwischen seinen Fingern hervorzudringen. »Woher soll ich das wissen, mein Liebes? Das Leben steckt voller Überraschungen. Habe ich dir jemals erzählt, wie ich zum Malen gekommen bin?«
    Schon viele Male, lag ihr auf der Zunge, aber sie bremste sich gerade noch rechtzeitig. Egal, wie oft er diese Geschichte erzählte, sie hörte sie immer noch gerne, und jedes Mal erhielt die Schilderung eine neue Haut, eine frische Farbe, wie die Obstschale auf der Leinwand vor Rose, in der die Äpfel eher an die frischen Pfirsiche vom letzten Sommer erinnerten, die Sorte, die den Saft aus dem Mund quellen ließ, sodass man sich rasch das Kinn mit einem Taschentuch abtupfen musste, bevor es jemand bemerkte. »Erzähl es mir, bitte«, begann sie, aber Ga Ga redete bereits, fast in einem Singsang, wie früher, wenn er ihr eine Geschichte erzählte, als sie noch klein war.
    »Mein Vater besaß ein Farbengeschäft, nicht weit von hier. Gleich vor der Brücke.« Er lächelte sie an. »Er war Kaufmann, weißt du. Dein Vater vergisst das gerne, aber es war so. Eines Tages, als ich noch ein kleiner Junge war, betrat ein Mann unser Farbengeschäft. Ich sah sofort, dass er anders war als die übliche Kundschaft meines Vaters. Der Mann legte viel Wert darauf, die richtigen Farben auszusuchen, blieb dabei aber sehr höflich.«
    Ga Gas Stimme nahm einen verträumten Klang an, ähnlich wie bei Grace, wenn sie kurz vor dem Einschlummern war und ihr Gutenachtgeplauder zum Erliegen kam. »Er war mit dem Schiff aus Frankreich gekommen, wo er eine Auftragsarbeit vollendet hatte. Seine Farben waren unterwegs verloren gegangen.«
    Rose sog entsetzt die Luft ein. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als ihren Malkasten unter der Matratze zu verlieren.
    »Aber er beklagte sich nicht, wie andere Maler das getan hätten.« Während er erzählte, fuhr Ga Gas Pinsel fort, die Äpfel noch pfirsichähnlicher zu machen, als könnte man einfach so hineinbeißen und spüren, wie der Saft am Kinn herunterlief. »Mein Vater hat ihn bei der Auswahl der richtigen Farben beraten, und dann bemerkte der Mann mich. Ob man ihm wohl erlaube, fragte er, den Jungen, wie er mich nannte, als Modell zu verwenden? Anscheinend war ich genau das, was er für seine nächste Auftragsarbeit suchte.«
    Es entstand eine Pause, und Rose konnte draußen vor dem Fenster Schritte hören, die im Schnee knirschten. Bitte, nur jetzt keine Unterbrechung, betete sie. Zu ihrer Erleichterung entfernten sich die Schritte. »Und dein Vater hat es erlaubt?«
    Ga Ga nickte. »Sir William Giles, als der der Unbekannte sich entpuppte, schickte jeden Morgen seine Kutsche zu mir. Ich musste mich dann in seinem Atelier auf einen Stuhl setzen, der sehr hart war, und vor mich hin träumen, während er mich porträtierte.«
    »Wovon hast du geträumt?«
    Sie kannte die Antwort, wollte sie aber wieder hören, weil es auch ihr Traum war.
    »Ich habe davon geträumt, derart magisch malen zu können wie Sir William Giles, weil es mir damals wie Zauberei vorkam. Das erste Porträt von mir wurde verkauft, und danach machte er noch eins und noch eins.«
    »Erzähl mir, wie du dann selbst angefangen hast zu malen.«
    »Eines Tages, als Sir William Giles für kurze Zeit den Raum verlassen hatte, stand ich auf und stöberte herum. Genau wie du, mein Liebes, wenn ich dann immer so tue, als würde ich es nicht bemerken. Ja, ganz richtig, ich beobachte dich. Ich schnappte mir also einen Pinsel und malte ein paar Striche auf ein Stück Papier, die einen Baum draußen darstellen sollten. Als Sir William Giles zurückkehrte, war ich noch in den Ästen.«
    Rose verstand genau, was er meinte.
    »Sir William Giles betrachtete das Bild eine Weile, ohne einen Ton zu sagen. Dann bat er mich freundlich, aber bestimmt, an meinen Platz zurückzukehren. An jenem Abend schickte er mich nicht wie üblich alleine in der Kutsche los, sondern eröffnete mir, dass er mich begleitete, weil er mit meinem Vater sprechen musste.«
    Ga Ga hielt einen Moment inne, und die Pfirsiche wurden nervös. »Du kannst dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe. Ich dachte, mich erwartet eine Strafe,

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