Perlentöchter
nicht ähnlich«, sagte Grace in Roses Kopf. »Sie kommt eher nach dir, mit diesen dunkelroten Strähnen im Haar.«
Es war wahr. Während Rose auf ihr neugeborenes Kind blickte und spürte, dass sich seine Lippen fest um ihre Brustwarze schlossen und seine winzigen Hände an ihrer Haut Halt suchten, war sie erfüllt von Sehnsucht und Hoffnung. »Du wirst nicht dieselben Fehler machen wie ich«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Und auch nicht die Fehler deiner Großeltern. Du wirst deine eigenen Entscheidungen treffen in einer Welt, in der Frauen mehr zu sagen haben.«
Eine Frau, die sicherlich viel zu sagen hatte, würde sie auch in Kürze besuchen: Phoebe würde bald nach Borneo in See stechen! Diese Neuigkeit erfuhr Rose durch einen Brief, den sie vor kurzem von ihrem Vater erhalten hatte. »Phoebe ist inzwischen eine fast erwachsene junge Frau«, schrieb er. »Es wäre gut für sie, wenn sie dich besucht und ihre Möglichkeiten erweitert.«
Ihre Möglichkeiten erweitert? Erwartete ihr Vater etwa, dass sie für Phoebe einen Ehemann fand? Rose hätte beinahe laut aufgelacht. Wenn ihre kleine Schwester immer noch dasselbe Temperament hatte wie als Kind, würde sie wohl gut zu einem der Kautschukpflanzer passen.
21
Helena – oder Helen, wie sie sie meist zärtlich nannten – war schon fast zwei Jahre alt, als Phoebe schließlich eintraf. Die Reise war aus einem Grund, der unklar blieb, verschoben worden. Bis dahin hatte Rose genau drei Briefe von ihren Söhnen erhalten, die alle in demselben fröhlichen, tapferen Ton geschrieben waren, der ihr schier das Herz zerriss. Sie waren nur durch ihre Handschrift zu unterscheiden: Rogers Schrift war klein und ordentlich, während Geoffrey viele Schnörkel und feine Linien malte. Rose war sich sicher, dass jemand hinter ihnen gestanden und Platittüden diktiert hatte.
»Wir haben eine großartige Zeit«, schrieb Roger, wobei »großartig« mehrfach notiert und immer wieder durchgestrichen worden war, bis die Schreibweise stimmte.
»Das Essen hier ist sehr gut«, stand in einem von Geoffreys Briefen.
Das waren keine Sätze, die ihre Söhne benutzten. Hatte Rose sie verloren, zusammen mit allem anderen? Wäre Helena nicht gewesen, wäre Rose nicht damit zurechtgekommen. Ihr kleines pausbäckiges Gesicht, fast so braun wie das der Einheimischen, so Charles’ abschätzige Bemerkung, strahlte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und wenn die Kleine morgens wach wurde, gurrte sie leise vor sich hin, statt wie die Jungs gleich loszubrüllen.
»Baby sehr gut«, sagte die Kinderfrau mit anerkennendem Nicken, und selbst Charles musste ihr recht geben.
Ein Jammer, dass Phoebe das nicht genauso sah. Als Rose im Hafen auf die Ankunft ihrer Schwester wartete, das Baby im Arm, klopfte ihr Herz plötzlich schneller. Phoebe war erwachsen geworden, hatte ihr Vater geschrieben. Es war fast unmöglich, sich das vorzustellen! Alles, was Rose im Geiste sah, war ein kratzbürstiges Kind, das sich weigerte, mit seiner älteren Schwester zu spielen oder sich von ihr bemuttern zu lassen. Wie würde Phoebe wohl sein, nun, mit einundzwanzig? So viele Jahre waren vergangen!
»Ist sie das?«
Charles stand neben ihr, die Augen auf eine große, elegante junge Frau geheftet, die die Gangway herunterschritt, umgeben von einer Schar Männer, die ihr Gepäck trugen.
»Nein.« Rose schüttelte den Kopf. »Phoebes Haare sind dunkler.«
Sie machte einen langen Hals und sah eine kleinere Frau dahinter. »Ich denke, das ist sie. Phoebe?«
Charles zog an ihrem Arm. »Schrei nicht so, Rose. Das gehört sich nicht.«
Das gehörte sich nicht? Sie starrte ihren Ehemann verwundert an. Seit wann gehörte sich sein Benehmen? Er verhielt sich manchmal ziemlich ungehobelt, aber nun beobachtete sie erstaunt, dass er die Arme ausbreitete und die große junge Frau mit dem hellen Haar empfing, die direkt auf sie zusteuerte. Erst jetzt erkannte Rose, dass diese Frau, ungeachtet der geänderten Haarfarbe, Graces Nase und Augen hatte.
»Phoebe?«
Die junge Frau stieß ein fröhliches Lachen aus. »Ich wusste, du würdest mich nicht erkennen.« Sie warf einen koketten Blick zu einem der jungen Männer, der eine Hutschachtel trug. »Habe ich es dir nicht gesagt, Christian? Meine eigene Schwester erkennt mich nicht.« Sie senkte die Stimme, aber nicht ausreichend. »Ich nehme an, du dachtest, ich wäre das Mauerblümchen direkt hinter mir. Habe ich recht?«
Sie warf einen abschätzigen Blick auf Helena, die auf dem
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