Perlentöchter
daherreden? Geoffrey glaubte nun bestimmt, dass er ersetzt werden würde. Und was hieß hier bald? Zwei Jahre konnte man wohl kaum als »bald« bezeichnen.
»Du bist etwas ganz Besonderes für mich«, flüsterte sie ihrem Sohn ins Ohr. »Tante Phoebe wird euch drüben besuchen, und euer Großvater. Und Onkel Duncan.«
Geoffrey nickte ernst, als das Schiff in diesem Moment heulend eine Dampfwolke durch den Schornstein ausstieß. »Lass den Jungen gehen«, sagte Charles ungeduldig und entfernte sich ein Stück vom Schiff.
Widerwillig ließ Rose die Hand ihres Jüngsten los. Mit einer der Frauen auf dem Schiff war abgesprochen, dass sie ein Auge auf die beiden Jungs hatte, aber angenommen, sie tat das nicht? Rose spürte einen Luftzug, als jemand an ihr vorbeirannte. Ihr Herz schlug höher. Es war ein Junge – derselbe dünne, dunkelhäutige Junge wie bei den Zwischenfällen mit der Perlenkette und der Schlange.
Er erreichte nun das obere Ende der Gangway und blieb dicht neben ihren Söhnen stehen, die ihn aber nicht wahrzunehmen schienen. Und er winkte sogar, als wollte er sie beruhigen. »Siehst du das?«, fragte sie Charles.
»Was?« Sein Ton war rau und schroff.
Sie veranlasste ihn, sich zum Schiff zu drehen. »Da oben. Neben den Jungs. Kannst du da noch ein Kind sehen?«
Charles streckte den Hals in die Sonne. »Nein. Da ist nichts. Grundgütiger, Rose, sag bitte nicht, dass du dir schon wieder Dinge einbildest.«
Aber das war keine Einbildung, dachte sie, während das Schiff ablegte. Sie bildete sich nichts ein, und am wenigsten diesen Jungen mit der braunen Haut, der neben ihren Söhnen stand und den Arm im Takt mit den langen, kräftigen, weißen Armen ihrer Kinder schwenkte.
»Warum fährst du nicht zurück und ruhst dich aus?« Charles tätschelte leicht ihre Schulter. Seine Zuvorkommenheit, die sie an den Mann erinnerte, den sie am Krankenbett seines Bruders kennengelernt hatte, weckte in ihr fast das Bedürfnis, sich dankbar an ihn zu schmiegen.
»Vielleicht mache ich das.«
Er nickte zustimmend. »Ich werde für ein paar Tage fort sein. Das habe ich ja erwähnt, nicht?«
Dies war auch etwas, das er immer häufiger tat. Nicht nur, dass er immer öfter verschwand, auch behauptete er, er habe sie bereits informiert, selbst wenn das nicht der Fall war. »Hast du das?«, erwiderte sie in unbekümmertem Ton, während sie sich dafür hasste, dass sie das Spiel mitspielte, aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. »Das muss ich wohl vergessen haben.«
Sie würde sich eben mit Nähen beschäftigen, sagte sie sich. Sie würde Celias Rat befolgen und Kissen aus den herrlichen Stoffen nähen, die sie gekauft hatte. Manchmal fragte sie sich, ob es unmoralisch sein würde, ihren bei Graces Tod geleisteten Schwur, nie mehr zu malen, zu brechen. Sie spürte ein großes Bedürfnis, all diese wundervollen Farben auf Papier zu bringen, wie damals zu Hause mit Ga Ga. Aber vielleicht, dachte Rose, während sie die hellpurpurfarbene Seide nahm und herausfordernd neben ein kräftiges Pink legte, das sie an eine Blume erinnerte damals in England, wäre dies ein glücklicher Kompromiss. Sie könnte mit Stoffen »malen« und hübsche Dinge für das Haus anfertigen oder womöglich sogar für ihre Freundinnen. Celia hatte sie bereits gebeten, für sie ein Kissen zu nähen. Aber kaum hatte Rose sich mit ihren Stoffen und Nadeln und einer Kanne Tee in ihrem Zimmer eingerichtet, klopfte es an der Tür.
»Dr. Whittaker will sprechen Sie«, sagte der Hausdiener mit undurchdringlichem Blick.
»Sag ihm bitte, dass ich Kopfschmerzen habe.« Rose nahm die Schnittvorlage für den Vorhang, die sie angefertigt hatte. »Ich bin heute nicht in der Verfassung, Besucher zu empfangen.«
Sie würde sich nicht, dachte sie, während sie beobachtete, wie der Doktor sich auf dem Pfad entfernte, auf dasselbe Niveau herablassen wie ihr Vater oder ihr Ehemann. Sie hatte Charles einen Treueschwur geleistet, in guten wie in schlechten Zeiten. Also sollte es so sein.
Helena kam genau drei Monate nach der Abreise der Jungs zur Welt, noch bevor der erste Brief von ihnen eintraf. Sie kam schnell und leise, ohne jedes Tamtam, wenige Stunden nachdem der neue Arzt da war. Einerseits war Rose erleichtert, andererseits enttäuscht, dass Edward zu einem Notfall gerufen worden war.
Aber sowohl ihre Erleichterung als auch ihre Enttäuschung waren nichts verglichen mit der Freude darüber, eine Tochter geboren zu haben. »Sie sieht mir überhaupt
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