Perlentöchter
mehr rühren konnte. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, an etwas Angenehmes zu denken. An ihr Elternhaus. An Ga Ga vor seiner Staffelei. An Grace, obwohl Rose sie sich im Moment nicht vorstellen konnte. An die Kinder. Das alles war nur für die Kinder … Und dann war es schließlich vorbei. Dankbar drehte sie sich auf die Seite und drückte ihr Nachthemd zwischen die Beine, um die Schweinerei aufzusaugen, während Charles sich auf die andere Seite drehte, schwerfällig, und auf den Boden plumpste, wo er laut schnarchend einschlief.
»Woher haben Sie die Blutergüsse an Ihren Handgelenken?«, fragte Edward, als sie in der darauffolgenden Woche auf der Veranda saßen. Er war zu einem kurzen Besuch vorbeigekommen, wie er das neuerdings häufig tat, und hatte eine neue Schallplatte für ihr Grammophon mitgebracht. Die Musik von Chopin, hatte er bei ihrer ersten Begegnung geschwärmt, sei auch seine Leidenschaft – wie sehr er das Klavier zu Hause vermisste! –, und er habe festgestellt, dass sie auf Frauen, die in den Wehen lagen, sehr beruhigend wirkte.
Was für eine wunderbare Idee! Alles in allem, dachte Rose oft, war Edward ein äußerst angenehmer Gesprächspartner, und auch ihm fiel es sichtlich leicht, mit ihr zu reden. Ihre Biografien ähnelten sich unheimlich. So waren beide am Stadtrand von London aufgewachsen, und sein Vater war Arzt, genau wie ihrer. Edward hatte einen Bruder und eine Schwester, die ihm sehr nahe standen, weshalb er nicht stammelnd nach den richtigen Worten suchte oder verlegen dreinblickte, als sie ihm von Grace erzählte. Er nickte nur verständnisvoll und sagte: »Das tut mir sehr leid«, statt ihr gut zuzureden, wie andere das taten. Charles’ Reaktion dagegen, so ihr Eindruck, als sie ihm von Grace erzählte, war eher schroff ausgefallen, als müsste man mit solchen Dingen eben rechnen, so wie mit Duncans Behinderung.
Wenn es darum ging, die Wahrheit zu sagen, fühlte sich Rose eher gegenüber ihrem freundlichen Doktor dazu imstande als gegenüber ihrem eigenen Ehemann. Darum schien es ihr nicht richtig, wegen der Blutergüsse zu schwindeln.
»Von Charles«, antwortete sie schlicht und blickte auf das trockene Stück Land vor ihnen, das als Garten diente. Ein Hund kläffte in der Ferne im selben Moment, als sie den Namen ihres Mannes aussprach. Edward runzelte nun die Stirn, als habe er nicht richtig verstanden. »Von Charles?«
Sie nickte.
»Er … er hat Ihnen Gewalt angetan?«
Die Vertraulichkeit seiner Frage hätte sie eigentlich schockieren müssen, aber stattdessen spürte sie Erleichterung. Auch wegen der Gewissheit, dass er nun eine Ahnung davon hatte, was geschehen war, statt gemeinsam mit ihr so zu tun, als wäre es ein häuslicher Unfall gewesen. Zum Beispiel ein Sturz.
Sie nickte wieder. »Er ist mein Ehemann.« Ihre Stimme war so leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte, aber Edwards Miene zeigte, dass er deutlich verstanden hatte.
»Sie müssen sich das nicht gefallen lassen.«
Seine Stimme klang wie ein leises Knurren, und sie bemerkte, dass seine großen Hände sich zu Fäusten ballten.
»Ich dachte, Sie würden das verstehen.« Sie nahm die Teekanne, aber ihre Hand zitterte. »Ich sitze hier fest. Ich habe zwei kleine Kinder. Wo soll ich hin, wenn ich ihn verlasse?«
Allein dadurch, dass sie die Worte aussprach, begann ihre Hand noch heftiger zu zittern.
»Die Jungs werden bald auf die Schule gehen.« Seine Hand wanderte über den Tisch und berührte sachte ihre, als wollte er so seinen Worten Nachdruck verleihen. »Können Sie sie nicht begleiten und in England bleiben?«
Derselbe Gedanke war ihr auch schon gekommen. »Ich weiß nicht. Er wird es vielleicht nicht erlauben.«
Edwards Blick trübte sich noch mehr. »Sie sind eine starke Frau, Rose. Sie können Ihre eigenen Entscheidungen treffen. Wir haben 1928. Die Zeiten ändern sich.«
»Für Männer vielleicht.«
Er zuckte zusammen. »Damit spielen Sie wohl auf meine geplatzte Verlobung an. Ich habe es Ihnen erklärt, Rose, es war eine Jugendsünde. Es wäre nicht fair gewesen, eine Frau zu heiraten, die ich nicht mehr liebe.« Er senkte die Stimme. »Es geht um die Frage, ob man sich selbst treu bleibt. Gerade Sie von all den Frauen hier sollten das wissen, falls ich mich nicht gründlich in Ihnen getäuscht habe.«
Nein, lag ihr auf der Zunge. Sie haben sich nicht getäuscht. Aber Männer können sich selbst treu bleiben auf eine Art, die Frauen verwehrt ist. Sie haben
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