Perlentöchter
würde sie für die Zeit üben, in der sie die Verantwortung übernahm.
Es gab Momente, in denen Rose diese Aussicht Angst einjagte. Denn es war sehr wahrscheinlich, dass Edna ihren Platz einnehmen würde. Wenn dieser Krieg vorüber war, würde Charles ziemlich sicher die Scheidung verlangen, und was sollte dann aus ihr werden? Es gab zwar in ihrem Umfeld ein oder zwei Frauen, Töchter aus gutem Haus, denen die Schmach einer Scheidung widerfahren war, aber man begegnete ihnen mit einer gewissen Distanz, soweit Rose das beobachtet hatte. Trotzdem war alles besser als diese unerträgliche Atmosphäre, und offen gesagt, konnte sie es kaum abwarten, dass Charles zum Militär einberufen wurde. Insgeheim wünschte sie sich sogar, auch wenn es zu schrecklich war, um sich jemandem anzuvertrauen, nicht einmal Grace, dass ihr Ehemann im Krieg fiel.
»Es kann nicht mehr lange dauern«, sagte Charles häufig, wenn die Post kam und immer noch kein Einberufungsbefehl darunter war. »Victor hat seinen bereits, der Glückspilz.«
Das hatte Rose nicht gewusst. Charles hatte flüchtig Kontakt mit dem Mann ihrer Schwester, da beide im selben Club in London Mitglied waren. Sie musste an ihre Schwester schreiben, ihr anbieten, dass sie vorbeikommen konnte, falls sie Gesellschaft brauchte. Gleichzeitig konnte Rose nicht anders, als Enttäuschung zu spüren, weil ihre Schwester es nicht für nötig befunden hatte, sie über die Einberufung ihres Ehemanns zu informieren. Phoebe verhielt sich immer so kühl und unnahbar. So war sie schon als Kind gewesen, und trotz Roses Hoffnung, dass sie sich vielleicht ändern würde, war sie als Erwachsene dieselbe. Wie ihre Mutter.
»Bleibt Edna hier, wenn du weg bist?«, fragte sie in neutralem Ton, wie sie hoffte. Es hatte keinen Sinn, sich mit Charles anzulegen, wenn er bald fortging.
»Natürlich. Dann könnt ihr euch gegenseitig Gesellschaft leisten.«
War er wirklich so naiv zu erwarten, dass seine Frau sich mit seiner Geliebten anfreundete? Rose war nicht dumm. Die Geräusche, die nachts auf der anderen Seite der Wand zu hören waren, wenn Charles »ins Bad« ging, verursachten ihr einen tiefen Ekel vor ihrem Mann und vor sich selbst, weil sie ihn nicht auf der Stelle verließ.
Das Einzige im Leben, was sie durchhalten ließ, waren die Kinder. Die Jungs wuchsen allmählich zu stattlichen jungen Männern heran, obwohl Rose große Angst davor hatte, dass der Krieg noch andauerte, wenn Roger das musterungsfähige Alter erreichte. »Du musst mir versprechen, dass du dich nicht freiwillig meldest, bevor deine Papiere kommen«, appellierte sie an ihn während der Ferien. Und er gab ihr widerwillig nach.
Schließlich kamen zwei Briefe mit der Post. Der erste forderte ihren Mann auf, seine Pflicht für König und Vaterland zu erfüllen. Und der zweite informierte Rose, dass ihre Bewerbung für die freie Stelle in der Kurzwarenabteilung von John Lewis in der Oxford Street erfolgreich war.
»Verkäuferin?«, rief ihr Vater ungläubig in einem seiner helleren Momente, als Rose in London zu Besuch war und ihn unterrichtete. »Das kann unmöglich dein Ernst sein. Frauen wie du gehen keiner Arbeit nach.«
Rose hatte mit ihrer Schwester auf dem Briefweg dieselbe Diskussion geführt. »Es ist Krieg, Papa. Wir müssen alle unseren Teil leisten. Außerdem freue ich mich darauf. Und ich habe Edna, die sich um die Kinder kümmert.«
Selbst während sie noch redete, nahm sie überrascht wahr, wie unbeschwert sie sich angesichts der Aussicht fühlte, nach all der Zeit etwas für sich zu tun. Gut, sie war gezwungen, unter der Woche in London zu bleiben, aber niemand hatte sie gefragt, wo sie unterkommen würde. Ihre Schwester und ihr Mann gingen davon aus, dass sie bei ihrem Vater übernachtete. Und dieser kam gar nicht auf die Idee, sie zu fragen. Es war alles so erschreckend einfach gewesen.
Wenn Rose später auf diesen Teil ihres Lebens zurückblickte, fragte sie sich immer, wie sie den Mut gefunden hatte, das zu tun, was sie tat. Manchmal fragte sie sich, ob es Mut war oder purer Egoismus, weil sie sich nach ihren eigenen Wünschen richtete und nicht nach dem, was andere von ihr erwarteten. Als sie die Zusage für die Stelle im Kaufhaus erhielt, hatte sie nicht einmal gewusst, dass Edward wieder im Land war.
Unterdessen war Charles in das militärische Ausbildungslager nach Margate aufgebrochen, wo er stationiert war, bis er seinen Marschbefehl erhielt. Rose wollte ihm beim Packen helfen, aber er hatte
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