Perlentöchter
aus, den beide insgeheim hegten: dass eine Scheidung vielleicht nicht nötig sein würde, falls Charles nicht aus dem Krieg zurückkehrte.
Der Abschied von Edward in der Wohnung (Rose traute sich nicht, sich am Bahnhof von ihm zu verabschieden, aus Angst, von jemandem erkannt zu werden) löste ein derart heftiges Hämmern in ihrem Kopf aus, dass sie ins Bad stürzte und sich in das Waschbecken übergab. Vielleicht war es nun Zeit, nach Hause zu gehen und eine richtige Mutter zu sein. Vielleicht würde sie auch das tun, wozu Edward sie schon seit einiger Zeit drängte, nämlich jemanden wegen ihrer elenden Migräneanfälle zu konsultieren. Manchmal waren sie so schlimm, dass sie in das alte Porzellanwaschbecken in ihrem Apartment erbrechen musste. Außerdem hatte sie eine merkwürdige Geschwulst direkt unter ihrem linken Hüftknochen, von der sie Edward nichts gesagt hatte, weil sie ihn nicht beunruhigen wollte.
Einige Monate später fand Rose sich an einem Schreibtisch wieder, hinter dem ein ernster junger Mann in einem weißen Kittel saß, der sicher zu jung war, um ein Arzt zu sein. Aber scheinbar war dieses Krankenhaus, das Edward ihr empfohlen hatte, eines der besten im Umkreis, auch wenn es nicht gerade um die Ecke lag. Die Fahrt in Phoebes kleinem grauen Morris Minor dauerte eine Ewigkeit. Überraschenderweise hatte sich ihre Schwester besorgt gezeigt, als sie ihr erzählte, dass der Hausarzt darauf bestand, sie an einen Spezialisten zu überweisen. »Ich begleite dich«, hatte Phoebe mit einem Stocken in der Stimme insistiert, das Rose viel mehr beunruhigte als die bevorstehende Untersuchung. Ihre Schwester war nicht bekannt für ihre Anteilnahme, aber der Krieg machte merkwürdige Dinge mit den Menschen, und das mit Victor war bestimmt nicht einfach für sie.
Nun klopfte dieser ernste junge Mann, der zuvor die Röntgenbilder studiert hatte, die der Hausarzt ihr mitgegeben hatte, mit seinem Füller auf den Tisch, wodurch Tintenspritzer auf dem Notizblock vor ihr landeten, und benutzte Worte wie »mögliche Schwellung in Kopf und Unterleib« und »dringend Operation erforderlich«.
Es kam ihr vor, als würde er von jemand anderem sprechen. Das kann nicht sein, dachte Rose, während sie durch das Fenster die Passanten beobachtete. Eine Frau, die fröhlich lachte und den Arm eines jungen, schlaksigen Soldaten umklammerte. Eine Mutter, die ihr Baby im Kinderwagen schob. Es konnte nicht sein, dass sie schwer krank war, wie es der ernste junge Arzt ausdrückte. Das war nicht der richtige Zeitpunkt! Es war Krieg. Helen und Frank waren zu jung – alle vier waren noch Kinder. Rose hatte endlich den Entschluss gefasst, Charles zu verlassen. Sie stand kurz davor, ein neues Leben mit Edward zu beginnen – was sie Phoebe während der Fahrt anvertraut hatte, die überraschend verständnisvoll reagierte und erklärte, Charles sei nach ihrer Auffassung schon immer »zu ungehobelt« für Rose gewesen.
Und nun das, gerade als sie die Chance hatte, ein bisschen Glück zu erleben mit einem Mann, der sie nicht nur vergötterte, sondern der auch keinen Zweifel daran ließ, dass er sie mit ihren Kindern nahm. Als würde sie ihre Kinder jemals im Stich lassen!
»Meine andere Schwester …«, begann sie. »Ich meine, ich hatte früher eine zweite Schwester, die einen Tumor an der Wirbelsäule hatte. Kann es da eine Verbindung geben?«
Der zu junge Arzt in dem weißen Kittel hob den Blick von den Tintenklecksen auf seinem Notizblock zu den Perlen an ihrem Hals. Sie waren es, mit denen er sprach – ihr Vater sagte immer, man solle Menschen nicht trauen, die einem nicht in die Augen schauen konnten.
»Das ist möglich«, antwortete er schließlich.
Roses Brust schnürte sich enger zusammen, und gleichzeitig arbeitete sich ein kleiner Gallefaden durch die Speiseröhre hoch in ihren Mund.
»Aber es könnte auch harmlos sein?«
»Möglich.«
Phoebe wartete draußen im Flur vor dem Zimmer. »Was hat er gesagt?«, fragte sie, sobald Rose herauskam.
»Er hat gesagt, dass es harmlos sein könnte.« Rose sah ihrer kleinen Schwester, die etwas größer war als sie, ins Gesicht. »Aber für den Fall, dass es nicht harmlos ist, muss ich dich um einen Gefallen bitten. Um einen ziemlich großen.«
Dezember 1941
Liebster Geoffrey,
ich muss für kurze Zeit ins Krankenhaus und eine kleine Operation durchführen lassen. Darum kann ich dich am Wochenende nicht besuchen. Es tut mir furchtbar leid, aber ich freue mich schon darauf, dich
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