Perlentöchter
bestens, vielen Dank. Sie lässt dir Grüße ausrichten. Sie und ihre Tochter befinden sich gerade zur Erholung in Italien.«
Italien! Rose blickte aus dem Fenster auf den feuchten Frühlingsmorgen und fragte sich, ob es ein leichtes Unterfangen sein würde, die Jungs aus der Schule zu holen und nach Italien zu fliehen. Hier hatte sich so viel verändert, seit sie ausgewandert war! In der Stadt wimmelte es plötzlich von Automobilen. Erst gestern wäre Rose fast überfahren worden, auch wenn sie vielleicht besser hätte achtgeben müssen. So oder so hatte sie nicht mehr das Gefühl, dass sie noch hierhergehörte. Teilweise sehnte sie sich sogar zurück in den Norden Borneos zu Celia und Edward.
»Du kannst hierbleiben, bis dein Ehemann nach dir schickt. Dann, schlage ich vor, folgst du ihm so rasch wie möglich nach Schottland. Und nun, wenn es dir nichts ausmacht, ich habe noch einige Dinge zu erledigen. Außerdem empfehle ich dir, möglichst schnell eine Gouvernante für deine Tochter zu finden. Unser Dienstmädchen kann sich nicht gleichzeitig um dein Kind und um das Haus kümmern. Wir sind gezwungen zu sparen, Rose. Dies hier ist nicht mehr das Haus, wie du es vielleicht in Erinnerung hast. Übrigens, das hätte ich beinahe vergessen: Deine Schwester wird im Sommer heiraten.«
Phoebes Hochzeit sorgte für willkommene Abwechslung. Ihre Schwester würde einen wohlhabenden Gutsbesitzer aus Somerset heiraten, der wohl ihren Ansprüchen genügte, nachdem ihre drei Exverlobten diese nicht erfüllt hatten.
»Ich würde dich ja bitten, meine Brautjungfer zu sein«, sagte Phoebe mit einem missbilligenden Blick auf Roses breiter werdende Taille. »Aber unter den gegebenen Umständen wäre das wohl nicht angemessen, oder?«
Wenigstens konnte Rose ihre Söhne regelmäßig sehen, die dank der finanziellen Unterstützung ihres Vaters, der einen Segen verdiente, auf eine Privatschule in Christchurch wechselten, ein Internat, das hoch dotierte Stipendien an begabte Schüler vergab. Es hatte sie auf Borneo fast umgebracht, so weit entfernt von ihren Jungs zu sein, aber als sie sie gleich nach ihrer Rückkehr in England besuchte, stellte sie zu ihrer Bestürzung fest, dass sie sich nun für zu erwachsen hielten, um ihre Umarmung zu erwidern. Diese Erkenntnis traf sie tief ins Herz. Unterdessen hielt Helen, die sich als sehr wissbegierig entpuppte, Rose ganz schön auf Trab, und nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ein weiteres Kind hatte, um das sie sich kümmern musste. »Du hast jetzt keine Kinderfrau mehr, weißt du«, sagte Phoebe zu ihr. »Hast du dir überlegt, was du tun wirst?«
»Ich werde zu Charles nach Schottland gehen«, antwortete Rose mit ausdrucksloser Stimme. Dies schien im Moment die einzige Möglichkeit zu sein, und außerdem hatte ihr Vater recht. Inzwischen mochten sie vielleicht das Jahr 1937 schreiben, aber eine Frau konnte nicht allein zurechtkommen. Jedenfalls nicht eine Frau wie sie.
Letzten Endes kam es ganz anders. »Ich habe ein Haus für uns gefunden«, verkündete Charles, als er im Sommer anreiste, um an Phoebes Hochzeit teilzunehmen. »Wir werden in Woking leben, wo ich mir eine Arbeit besorgt habe.«
Er redete so, als hätten sie dies zuvor abgesprochen, und Rose starrte ihn verwundert an. »Aber ich dachte, wir gehen zu Duncan nach Schottland.«
Charles stieß einen abfälligen Laut aus. »Ich kann nicht für ihn arbeiten. Er ist ein einbeiniger Schwächling.«
Am folgenden Tag erhielt Rose einen Brief von ihrem Schwager, den sie immer gemocht hatte und mit dem sie seit ihrer Zeit auf Borneo einen losen Briefkontakt pflegte. Er entschuldigte sich dafür, dass er Charles wegen dessen Trinkerei »gehen lassen musste«, und äußerte die Hoffnung, sie bald wiederzusehen, »wenn die Lage sich beruhigt hat«. Außerdem appellierte er an seine Schwägerin, ihn oder seine Frau zu kontaktieren, wenn sie Hilfe benötigte.
Es hatte keinen Sinn, befand Rose, Charles zu sagen, dass sie die Wahrheit kannte. Außerdem würde es nicht mehr lange dauern, bis das Baby zur Welt kam. Sie konnte keine weitere Auseinandersetzung riskieren.
War Helen ein einfaches Baby gewesen, war Frank das Gegenteil. Von dem Moment an, in dem er das Licht der Welt erblickte, zeigte er das Temperament seines Vaters. Wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein, und im nächsten Augenblick unmöglich. Als er ein Jahr alt war, erkannte Rose sich selbst nicht im Spiegel wieder. Sie war am Ende ihrer Kraft.
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