Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
hervor.
    Entgeistert starrte sie ihn an.
    «Du... Seit wann rauchst du wieder?»
    Er spielte es herunter, sprach mit hohler Nonchalance von Italien, den Cafes und den Zigaretten, die einfach dazugehörten. Er fand sich ekelhaft, und sie glaubte ihm kein Wort. Es lag jetzt ein Schatten auf ihrem Gesicht. Sie empfand es als Verrat an Agnes, als Fahnenflucht. Da war er ganz sicher. Eine brennende Hilflosigkeit übermannte ihn, und ohne es vorausgeahnt zu haben, begann er, über Intimität zu sprechen, über verschiedene Formen der Loyalität, über Liebe und Freiheit.
    «Wenn Intimität etwas mit dem Gleichklang zweier Leben zu tun hat, so fragt sich, ob sie mit dem Ideal verträglich ist, daß zwei Menschen sich nicht in ihrer Freiheit beschneiden sollten», schloß er.
    «Papa», sagte sie leise,«so kenne ich dich ja gar nicht!»
    Der Schatten war verschwunden und hatte einem Lächeln voller neugieriger Scheu Platz gemacht. Sie nahm eine seiner Zigaretten und holte das rote Feuerzeug hervor.
    «Eigentlich finde ich es gar nicht so schlecht, daß du wieder rauchst», sagte sie.«Dann brauche ich mich wenigstens nicht zu entschuldigen!»
    Als sie auf dem Rückweg um eine Hausecke bogen, waren sie plötzlich vor der Trattoria. Perlmann blieb stehen und schob die flache Hand zwischen die Glasperlen des Vorhangs. Dann zog er sie langsam zurück und ging ohne ein Wort weiter.
    «Was war da eben?»fragte Kirsten.
    «Nichts. Diese Art von Vorhang... ich mag sie. Sie hat etwas... Märchenhaftes.»
    «Du bist heute voller Überraschungen!»lachte sie.«A propos märchenhaft: Sieht das weiße Hotel dort drüben am Hang nicht fantastisch aus? Könnten wir da morgen mal hingehen?»
    «Das IMPERIALE. Du hast einen teuren Geschmack», lachte er, und für einen Moment verschwand er ganz in ihrer Zeit und vergaß, daß die andere Zeit, die Zeit der Veranda, unbarmherzig weitertickte.
     
    Als er sie später in ihrem Zimmer zum Essen abholte, verschlug es ihm für einen Moment die Sprache. «Smashing», sagte er schließlich, nachdem sie sich in ihrem glitzernden schwarzen Kleid, dem man an einigen Stellen noch die Reise ansah, zweimal um ihre Achse gedreht hatte. Um den Hals trug sie einen indianischen Schmuck, und bis auf einen waren alle Ringe verschwunden. Als sein Blick verblüfft auf ihren Händen ruhte, kniff sie ein Auge zusammen und grinste.
    «Du mochtest sie nicht. Stimmt’s?»
    «Hat man das so deutlich gemerkt?»
    «In dir kann ich lesen wie in einem Buch. Das konnte ich immer schon. Weißt du nicht mehr?»
    Er sah auf die Uhr.«Wir müssen. Vergiß deine Tasche nicht. »
    Auf dem Weg zur Tür betrachtete sie sich noch einmal im großen, halbblinden Wandspiegel und zog einen Strumpf zurecht. Wenn sie nur das verdammte Pink lassen würde, dachte er. Und auch die Absätze hätten nicht ganz so hoch zu sein brauchen. Kurz bevor sie den Korridor verließen, blieb er stehen und hielt sie am Arm zurück.
    «Ich wollte dich um etwas bitten. Eine Kleinigkeit nur. »
    «Ja?»
    «Wahrscheinlich wird Brian Millar nach dem Essen im Salon spielen. Am Flügel, meine ich.»Er machte eine Pause und sah zu Boden.«Niemand hier weiß, daß ich auch spiele. Gespielt habe. Und ich möchte, daß das so bleibt. In Ordnung?»
    Sie sah ihn forschend an und schüttelte ganz leicht den Kopf.
    «Aber du brauchst dich doch nicht zu verstecken! Das möchte ich erst mal sehen, ob dieser Millar besser spielt als du!»
    «Bitte. Ich... ich kann es dir nicht gut erklären. Aber ich möchte es so.»
    «Wenn du es so willst: selbstverständlich», sagte sie langsam und spielte abwesend mit dem Riemen ihrer Tasche.«Aber... Irgend etwas ist los mit dir, ich spür’s schon die ganze Zeit. Willst du’s mir nicht sagen?»
    «Komm», sagte er,«sonst sind wir die letzten. »
    Es wurde ein Essen, bei dem Perlmann wie auf Kohlen saß. Er bemühte sich, nicht hinzusehen, aber seine Aufmerksamkeit war trotzdem ganz bei dem, was seine Tochter sagte, und bei jedem Fehler, den sie im Englischen machte, zuckte er zusammen. Dabei schlug sie sich blendend. Sie war neben Silvestri zu sitzen gekommen, schräg gegenüber von Millar.
    Der Italiener war, das hatte Perlmann nicht von ihm erwartet, sofort aufgestanden, als sie an den Tisch traten, und hatte Kirsten, die sich setzte, den Stuhl zurechtgerückt. Ruges Gesicht hatte sich bei diesem Anblick zu einem Grinsen verzogen, und Kirsten war unter ihren feinen Sommersprossen leicht errötet. Als sie sich traute, ein paar

Weitere Kostenlose Bücher