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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Anerkennung abhängig. Dabei hätte man weder bei seinem Vater noch bei ihm selbst von einem unterwürfigen Charakter sprechen können. Nein, das war es nicht. Es war die pure Angst, die diese Beflissenheit hervorbrachte; eine stetige Angst vor den Folgen, die es haben könnte, wenn man die anderen spüren ließ, daß man selbst auch Wünsche hatte, die mit den ihren in Konflikt standen, und sei es nur in der Weise, daß die anderen eine Weile warten mußten. Die Vorstellung von diesen schlimmen Folgen war alles andere als klar; je genauer man hinsah, desto mehr verflüchtigte sich ihr Inhalt. Aber das änderte nichts an der würgenden, erstickenden Macht, welche diese Angst über einen besaß. Einmal hatte Perlmann einen Arzt während der Sprechstunde telefonieren hören. Er hatte ganz unauffällige Sätze gesagt:«Nein, das geht jetzt nicht, ich bin beschäftigt... Das verstehe ich; aber dann müssen Sie eben später noch einmal anrufen.»Der Arzt hatte diese Sätze in einem freundlichen, aber sehr bestimmten Ton gesagt, der eine klare Linie der Abgrenzung gegenüber dem anderen zog, und er hatte sie mit einer anstrengungslosen Selbstverständlichkeit gesagt, die Perlmann geradezu hypnotisiert hatte. Es war wie eine Offenbarung gewesen: Solche Sätze in diesem Ton sagen, das war es, was man können mußte. Man mußte sie ohne alles Herzklopfen sagen können, ohne innere Erregung oder auch nur Angespanntheit, ganz ausgeglichen und ohne weiter über sie nachdenken zu müssen. Als sich damals die Tür des Sprechzimmers hinter ihm geschlossen hatte und er auf die Straße getreten war, hatte er gewußt: Diese Unbeflissenheit würde fortan das wichtigste Ideal seines Lebens sein.
    Wenn er an die Veranda dachte, an die glänzenden Tische und den hohen, geschnitzten Sessel an der Stirnseite, dann spürte er, daß er von diesem Ideal noch nie so weit entfernt gewesen war wie jetzt. Als ihn von Levetzov vorhin auf seine ungewöhnliche Weise angeredet hatte, war er sich wie auf der Schulbank vorgekommen, schutzlos und hoffnungslos unterlegen wie ein Zögling des Instituts Benjamenta. Jedes Wort hatte ungehindert in ihn eindringen können, und er verfügte, so schien ihm, über keinerlei Mittel, die Wörter daran zu hindern, in ihm zu wuchern wie bösartige Tumore.
    Etwa von Levetzovs Anspielung auf jene Konferenz vor einem Jahr. Perlmann hatte mit einer Routineteilnahme gerechnet, als er zusagte; mehr nicht. Er war länger nicht auf Konferenzen gewesen und hatte dies als eine günstige Gelegenheit betrachtet, sich zu zeigen und mit einigen geschickten Fragen die allgemeine Meinung zu festigen, er sei ganz dabei. Er wollte gewissermaßen an seiner Tarnung arbeiten. Es war ein Schock, als er zwei Wochen vor dem Termin das gedruckte Programm erhielt und sich als Hauptredner aufgeführt fand, daneben einen sehr allgemeinen, nichtssagenden Titel, den ihm jemand aus oberflächlicher Kenntnis seiner Arbeiten angedichtet hatte. In wütender Panik griff er zum Telefon, schon hörte er es am anderen Ende klingeln, da legte er wieder auf. Er durfte sich nicht verraten. Ein Mann wie er, eine Kapazität im Fach, durfte wegen eines solchen Mißverständnisses nicht die Fassung verlieren. Allenfalls konnte er bei Gelegenheit eine bissige Bemerkung darüber machen. Aber im übrigen mußte ein Philipp Perlmann eigentlich jederzeit einen Vortrag parat haben. Er konnte ja nicht anrufen und einfach sagen: Das ist ein Mißverständnis, ich habe zur Zeit nichts zu sagen, bitte richten Sie das aus. Warum eigentlich nicht, fragte Agnes, als sie sah, in welcher Haltung er am Schreibtisch saß. Nach dieser Frage fühlte er sich sehr allein. Eine Weile erwog er, sich kurzfristig krank zu melden. Schließlich hielt er einen Vortrag, der zusammenfaßte, was er in den letzten Jahren veröffentlicht hatte. Kein schlechter Text, fand er, als er ihn vorher noch einmal durchlas. Doch als er das Rednerpult unter höflichem Beifall verließ, wäre er am liebsten auf dem kürzesten Weg zum Bahnhof gefahren, obwohl die Konferenz noch zwei weitere Tage dauerte. Beim Essen dann hatte von Levetzov neben ihm gesessen.«Ein Vortrag von gewohnter Klarheit», hatte er mit einem Lächeln gesagt, das nicht unfreundlich war, keinesfalls maliziös, und das dennoch wie ein Nadelstich auf Perlmann gewirkt hatte,«aber es hat sich eher um einen Rückblick auf Vergangenes gehandelt, nicht wahr, oder habe ich das Neue bloß überhört?»
    Soeben, unten in der Halle, hatte er

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