Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
und zog die Jacke aus. So schlimm war es doch gar nicht; er hatte nur etwa eine Viertelstunde verloren, höchstens zwanzig Minuten. Er wendete und nahm die nächste Straße, die mehr in die Häusergegend hineinführte.«Immer geradeaus», sagte der mürrische Tankwart, den er nach dem Weg fragte.
Unvermittelt, wie ihm schien, fand er sich auf einem der Plätze, an denen er – es war eine Ewigkeit her – auf der Fahrt zum Plattengeschäft vorbeigekommen war. Zögernd fuhr er weiter, bog aufs Geratewohl in die nächste Straße ein, mußte wegen des Einbahnverkehrs eine Schleife fahren und landete wieder auf demselben Platz. Das Stadtzentrum war an diesem Sonntag mittag eigentümlich still, von der Industriemesse war nichts zu merken, und er mußte den wenigen Passanten hinterherlaufen, um sie nach dem Weg zu fragen.
«Immer am Fluß entlang», sagte ihm schließlich ein alter Mann, der wie für den Kirchgang angezogen war und mit seinem Stock an den dunklen Schaufenstern vorbeischlich. Jetzt erst sah Perlmann den Fluß auf der Karte. Verärgert über sich fuhr er in die angegebene Richtung. Bei einer Endstation für Busse fragte er einen Fahrer.
«Molassana ist ein bekanntes Viertel von Genua, ein Vorort, da braucht niemand ein Hinweisschild», erwiderte der Fahrer auf Perlmanns vorwurfsvolle Bemerkung und sah ihn an, als sei er hinter dem Mond zu Hause.
Perlmann fluchte hinter dem Steuer über die irreführende Darstellung auf der Karte und beruhigte sich erst, als er den Fluß überquerte, wo es dann doch ein Hinweisschild gab. Er hatte gerade richtig Gas gegeben, da bremste er wieder ab und fuhr rechts ran. Ich darf mich morgen nicht verfahren. Das wäre die Hölle. Eine Weile versuchte er, die direkte Route hierher im Kopf zu rekonstruieren, indem er die verschiedenen Umwege abschnitt. Aber es gelang nicht, das Hin und Her war zu verwirrend gewesen. Fünf nach eins. In genau sechsundzwanzig Stunden landet er. Er rauchte hastig ein paar Züge, warf die Zigarette zum Fenster hinaus und fuhr zurück bis zur Hafenstraße.
Auf der erneuten Fahrt nach Molassana hielt er immer wieder an und prägte sich die kritischen Stellen genau ein. Da waren zunächst die beiden Eisenwarenhandlungen, die sich aufs Haar glichen: gleich groß, beide an einer Ecke, beide mit rostigen Rolläden. Bog man bereits bei der ersten ab, so zwang einen der Einbahnverkehr wieder zurück zum Hafen, während eine ähnlich unauffällige Abzweigung bei der zweiten in Richtung Zentrum führte. Auf keinen Fall schon bei der ersten abbiegen. Als nächstes mußte er aufpassen, daß er an dem Platz, wo das Gebäude mit dem Säulenvorbau stand, nicht, wie vorhin, der Straßenbahntrasse nach rechts folgte, sondern die Kurve nach links nahm. Bei der Baustelle mit der Umleitung verfuhr er sich zweimal: Man mußte wirklich unmittelbar hinter der Bäckerei wieder abbiegen, um zurück auf die Hauptstraße zu gelangen. Und schließlich war die Stelle mit den vielen Bushaltestellen kritisch: Man durfte nicht der dreispurigen Straße in die Unterführung folgen, sondern mußte sich ganz links einordnen und in einem spitzen Winkel zur Hauptverkehrsader auf dem Kopfsteinpflaster weiterfahren. Es war immer noch eine ziemlich umständliche Route, dachte er, wahrscheinlich gab es eine einfachere. Aber mehr Zeit durfte er nicht mehr verlieren.
Um zwei Uhr war er wieder am Fluß, wo er gedreht hatte. Auf der fast leeren Straße fuhr er viel zu schnell. Zwar fürchtete er sich davor, an eine Stelle zu kommen, wo es sich machen ließ; aber noch schlimmer war die Ungewißheit, und mit jedem Kilometer, der nicht in Frage kam, wurde sie unerträglicher. Er würde vielleicht länger auf einen Lastwagen zu warten haben. An der fraglichen Stelle mußte es deshalb eine Ausbuchtung geben, wo er neben der Straße parken konnte. Den Laster mußte man bereits weit hinten auftauchen sehen, so daß Zeit genug blieb, um loszufahren, zu beschleunigen und den Wagen im letzten Moment nach links hinüberzureißen. Ferner mußte es für den Fahrer unmöglich sein auszuweichen. Am besten, auf seiner Seite der Straße war Fels.
Auf dem steilen Stück vor dem Tunnel, der die Schleife ins Gebirge hinauf abschnitt und den Scheitelpunkt der Strecke bildete, kam eine solche Stelle. Perlmann hielt mit klopfendem Herzen. Nein, hier ging es nicht, dachte er, als er die feuchten Hände mit dem Taschentuch abtrocknete. Wo er nun zwischen sich und dem Lastwagen diesen langen, stabilen Kühler
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