Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
würde.
«Für zwei Tage», sagte er heiser.
Ob er ihn noch morgen abend zurückbringen werde?
Es dauerte viel zu lange, bis er sich endlich, ohne Grund und mit dem Gefühl, etwas vollkommen Zufälliges zu sagen, für ein«Ja»entschied, und man konnte der Hostess die Verwunderung darüber ansehen, wie wenig dieser Kunde, der eben noch derart arrogant aufgetreten war, über seine eigenen Pläne Bescheid zu wissen schien.
Welche Versicherung er abschließen wolle? Ob auch Kasko- und Insassenversicherung dabei sein sollten?
«Das Übliche», sagte Perlmann tonlos.
«Wie bitte?»fragte die Hostess und gab sich keine Mühe, ihre Ungeduld zu verbergen.
«Das Übliche», wiederholte Perlmann mit forcierter Festigkeit und hatte das Gefühl, sie müßte ihm ansehen können, wie sein Gesicht brannte. Im schlimmsten Fall konnte die Polizei also über die Zulassung und AVIS ans Hotel gelangen, dachte er, als die Hostess schließlich noch seine hiesige Adresse eintrug.
Auf dem Weg zum Ausgang blieb er vor dem Monitor stehen, der die ankommenden Flüge aufführte. Der momentan letzte auf der Liste war ein Flug aus Paris, der fünf vor drei landen sollte. Es war doch vollkommen gleichgültig, sagte er sich, woher Leskovs Flug kommen würde. Einen Direktflug hierher gab es natürlich nicht, aber es spielte nun wirklich nicht die geringste Rolle, wo Leskov umstieg. Außerdem brauchte die Maschine, die er morgen nahm, nicht täglich zu verkehren. Trotzdem blieb Perlmann stehen, rauchte und starrte gebannt auf den flimmernden Bildschirm. Und als er die zweite Zigarette ausgetreten hatte und wieder aufblickte, war der Flug da: AZ 00423, 15.05 aus Frankfurt.
Für einen Moment sah Perlmann, wie Leskov in dem abgewetzten Lodenmantel, den er damals getragen hatte, rudernd und schnaufend durch den Frankfurter Flughafen ging. Es war kindisch und in seiner Situation grotesk, dachte er, aber daß dieser Mann ausgerechnet auf seinem Flughafen umsteigen würde, brachte ihn auf, es kam ihm vor, als würde Leskov damit seine Intimsphäre verletzen. Verärgert verscheuchte er das Bild und ging hinaus zum Parkplatz.
30
Beim Einsteigen in die lange, dunkelblaue Limousine fiel sein Blick sofort auf die Handbremse. Bei diesem Wagen war sie ungewöhnlich weit drüben beim Beifahrersitz. Er hätte also Leskovs breiten Körper beim Lösen des Hebels über dem Abgrund unweigerlich berühren müssen. Es gab ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit, daß diese Vorstellung ihn minutenlang gefangenhielt, obwohl sie doch überholt war und keinerlei praktische Bedeutung mehr besaß. Schließlich gelang es ihm, sie abzuschütteln, und er entfaltete die Karte.
Für einen frontalen Zusammenstoß mit einem Lastwagen, bei dem sonst niemand Schaden nehmen durfte, kam die Küstenstraße nicht in Frage. Große Laster würden dort kaum fahren, und wiederum galt, daß es zu der fraglichen Zeit viel zuviel Verkehr gab. Es blieb auch für diesen Plan nur die Straße über Molassana nach Chiávari. Er mußte darauf setzen, daß an einem Montag nachmittag dort auch Lastwagen fuhren. Es war ihm unangenehm, daß er damit in seinem schrecklichen Vorhaben von anderen Leuten und ihren zeitlichen Plänen abhing. Unmittelbar bevor sie in Dunkel und Stille verschwand, würde sich seine eigene Zeit auf diese Weise mit der Zeit der anderen kreuzen müssen. Als er die Karte neben sich auf den Sitz legte und eine Zigarette anzündete, überkam ihn ein Ekel vor der hemmungslosen Selbstbezogenheit, die in diesen Gedanken zum Ausdruck kam.
Die Handbremse war fest angezogen und löste sich erst beim dritten Druck auf den Knopf. Wie im Traum, dachte er, als er den Wagen unsicher aus dem Parkplatz hinaussteuerte. Er fuhr wie ein Anfänger, und noch bevor er richtig unterwegs war, hatte er einen Bordstein gestreift und jemandem die Vorfahrt abgeschnitten.
Nach der Karte zu urteilen kam die Abzweigung nach Molassana erst östlich vom Zentrum, und so fuhr er zunächst an den Industrieanlagen und dann am Hafen entlang, auf einer menschenleeren Straße mit verfallenen Häusern, toten Baustellen und Bergen von Schutt. Trotz des strahlenden Wetters war es eine beklemmende Kulisse, und er fuhr so schnell über das unebene Pflaster und die vielen Schlaglöcher, daß es ihm mehrmals das Steuer aus der Hand schlug. Er sah keinen Hinweis auf das Zentrum, und als ihm die Sache allmählich spanisch vorkam, entdeckte er, daß er bereits auf dem Weg nach Genova Nervi war. Er fing an zu schwitzen
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