Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
von Chiávari in Sicht, und er hatte nicht eine einzige Stelle gesehen, die in Frage kam: Entweder war die Straße zu kurvenreich, oder man konnte nicht anhalten, oder es gab Häuser, immer wieder Häuser. Perlmann fuhr auf den ersten Parkplatz am Rande von Chiávari und stieg aus. Halb vier. Sein Magen krampfte sich vor Hunger und Anspannung zusammen. Er ging die paar Schritte bis zur nächsten Bar, aß ein Sandwich und bat die verwunderte Kellnerin um ein großes Glas lauwarmes Wasser.
Der Tunnel; ich muβ es im Tunnel machen. Der Gedanke kam ihm, nachdem er eine Weile mit vollständig leerem Kopf dagestanden und offenbar sogar die Bitte um Feuer überhört hatte, die unmittelbar neben ihm geäußert wurde. Hastig legte er einen Geldschein auf die Theke, rannte zum Wagen und fuhr los. Ich habe nicht darauf geachtet, aber auch dieser Tunnel muβ Ausweichstellen haben, wo man halten kann, alle Tunnel haben das, es ist Vorschrift, dachte er immer von neuem, als er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zurückfuhr. Pian dei Ratti. Er fuhr langsamer, drehte sich um und sah zum Haus hoch: Alles unverändert, ein einziger Rolladen hochgezogen. Auf der letzten Steigung, wo die Straße breiter wurde, fuhr er über hundert und bremste erst im Tunneleingang ab. Ja, es gab auf beiden Seiten mehrere Wartebuchten, das sah er sofort.
Wieder draußen, fuhr er noch ein Stück weiter und wendete erst dann. Auch hier wollte er sich Dinge einprägen, die ihm die Stelle ankündigten. Aber es war eigentlich ganz leicht: Zuerst kam ein Übersichtsschild, das anzeigte, wie es links hinauf nach Piacenza ging und rechts weiter nach Chiävari, und dann, kurz vor dem Tunnel, kam die Kreuzung mit den einzelnen Pfeilen. Perlmann fuhr auf den Kiesplatz rechts vor dem Tunneleingang und stellte den Motor ab.
Die getönte Fensterscheibe glitt auf Knopfdruck mit einem leisen Surren nach unten. Er legte den Ellbogen auf den Rahmen und zündete sich eine Zigarette an. Als er nach einer kurzen Erschöpfungspause wieder ganz bei sich war, drückte er die Zigarette aus und nahm den Arm vom Fensterrahmen. Diese bequeme, saloppe Haltung kam ihm hier, vor dem tödlichen Tunnel, obszön vor. Es war eine Empfindung wie gestern morgen am Geländer hinter dem Felsvorsprung. Nur ist jetzt alles schlimmer, viel schlimmer. Nun wußte er auf einmal nicht mehr, wohin er mit den Händen sollte. Schließlich klemmte er sie zwischen die Knie und starrte zusammengekauert, knapp über das Steuer hinweg, nach vorn in den Tunnel.
Lang genug war er, es mochten zwei Kilometer sein. Freilich konnte er den Anlauf nicht hier draußen beginnen. Wenn man auf dem Kiesplatz stand, sah man nicht weit genug hinein, und wenn man die Sicht verbessern wollte, mußte man eine unnatürliche, auffällige Position halb auf der Straße einnehmen. Es konnte morgen ziemlich lange dauern, und auch hier in der Nähe gab es Häuser mit Leuten, die in den Fenstern lehnen und die teure Limousine beobachten würden. Überhaupt fühlte Perlmann sich vom Tunnel angezogen, weil dann alles, das Warten ebenso wie der Zusammenprall, im verborgenen geschehen konnte.
Er fuhr hinein und hielt auf dem hellen Lehm, mit dem die erste Ausweichstelle bedeckt war. Jetzt sah er bis zum Tunnelende, und im Außenspiegel konnte er, ohne den Kopf auffällig drehen zu müssen, feststellen, ob hinten alles frei war. Hier hatte bequem noch ein zweites Auto Platz. Er mußte sich morgen so hinstellen, daß niemand auf die Idee kam anzuhalten und seine Hilfe anzubieten. Am besten, er stellte sich schräg zu dem Lehmhaufen, in dem die Schaufel steckte. Er konnte nur hoffen, daß keine Polizei vorbeikam. Bei diesem Gedanken zuckte er zusammen und fuhr weiter. Er wagte nicht, im leeren Tunnel zu wenden, sondern fuhr hinaus und dann wieder zurück zum Kiesplatz. Wie vorhin kauerte er sich zusammen und stützte die Stirn aufs Lenkrad.
Das erste, was er von dem Lastwagen sehen würde, waren seine Lichter, größer als die eines Personenwagens und höher angebracht. Er würde erst losfahren, wenn die Fahrerkabine deutlich zu erkennen war, damit er sicher sein konnte, daß es sich um einen großen, stabilen Wagen handelte. Am besten wäre einer dieser amerikanischen Laster, die regelrechte Bollwerke waren. Was er dann tun mußte, ganz genau, bis in die einzelnen Bewegungen hinein, war viel unklarer, als er bisher angenommen hatte.
Um die Gewißheit zu haben, daß sie beide getötet würden, mußte er ganz frontal auf den
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