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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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zerkratzte, verlor er die Nerven und schlug beim nächstenmal mit voller Wucht zu. Als ihm der Schraubenzieher die Kuppe des Ringfingers quetschte und aufritzte, ließ er alles fallen, steckte den Finger in den Mund und hüpfte vor Schmerz auf und ab. Nach einer Weile wickelte er das Taschentuch um den Finger und machte einen letzten Versuch. Die beiden Münzen griffen, und nun hämmerte er sie vorsichtig, Millimeter für Millimeter, hinein. Einmal gab es ein ächzendes Geräusch, als würde der Kasten gleich zerspringen. Aber er hielt, und am Ende saß der Gurt fest, Perlmann setzte sich hin und probierte es aus. Die Rundungen der beiden Geldstücke blieben sichtbar, weiter durfte er sie nicht hineintreiben, sonst rutschten sie zu den anderen hinunter. Sollte Leskov, wenn er merkte, daß der Gurt klemmte, genau hinsehen, so konnte er kopfschüttelnd irgend etwas von Vandalismus sagen.
    Zuerst hatte er die Landkarte geborgt, dann den Wagen gemietet, und jetzt das. Er geriet immer tiefer in die Verwirklichung seines Plans hinein, seine Handlungen wurden von Mal zu Mal gezielter, seine Überlegungen ausgeklügelter, seine Spuren deutlicher. Und gleichwohl, dachte er beim Wegpacken des Werkzeugs, fühlte sich alles wie eine nach innen laufende Spirale an, die sich ganz von selbst, ohne sein Zutun, immer enger um ihn legte und ihn am Ende mit seiner eigenen Tat erwürgen würde.
    Die Hand noch am Kofferraumdeckel, sah er, wie eine Frau auf der anderen Seite der Kreuzung einen Krämerladen aufschloß und Licht machte. Er rannte hin und betrat den Laden. Das weiße Haar der alten Frau war so fein und schütter, daß sie fast kahlköpfig zu sein schien. Ihre nach innen gepreßten Lippen und das vorgeschobene Kinn erinnerten ihn an die zahnlose Alte am Fenster in Portofino.
    «Geschlossen», sagte sie und schob den spitzen Unterkiefer noch weiter vor.
    «Nur eine Frage», sagte Perlmann.
    Sie sah ihn mißtrauisch an.
    «Verkehren hier viele Lastwagen?»
    «Wie?»
    «Ob hier viele Lastwagen vorbeikommen. Ob es viel Verkehr gibt. Durch den Tunnel, meine ich. »
    «Heute nicht», grinste sie und zeigte ihren einzigen Zahnstummel.
    «Werktags, meine ich.»
    «Nun – mal mehr, mal weniger. »
    «Wie ist es Montags?»
    «Wie ich schon sagte: Mal mehr, mal weniger. »
    «Wovon hängt es ab?»Perlmann steckte die Hände in die Taschen, um die Fäuste ballen zu können.
    «Weiß ich nicht. Im Sommer ist mehr los.»
    «Aber es gibt auch um diese Zeit Lastwagen?»
    «Natürlich gibt es Laster. Machen einen Heidenlärm. Und stinken. Sagen Sie, warum wollen Sie das denn überhaupt wissen? »
    «Wir drehen einen Film, und da muß es Lastwagen geben», sagte Perlmann. Er hatte keine Ahnung, woher er das nahm, aber die Auskunft kam ohne Zögern.
    «Einen Film? Hier in diesem Nest?»Sie lachte krächzend und schob die gerollte Zungenspitze zwischen die Lippen.
    «Wie ist es mit der Uhrzeit? Ab wann wird der Verkehr abends schwächer?»
    «Sie wollen es wohl ganz genau wissen, wie?»sagte sie und machte jetzt ein neugieriges Gesicht, als fange sie an, die Geschichte mit dem Film zu glauben.«Von Piacenza runter kommt nach vier nichts mehr. Und von Chiávari durch den Tunnel – na ja, ab halb fünf wird’s weniger, c’è meno.» Und dann fügte sie, plötzlich ganz erbost, hinzu:«Feierabend – heutzutage machen sie ja schon ab fünf Feierabend!»
    «Nach halb fünf kommen also nicht mehr viele Lastwagen?»
    «Hab’ ich doch gesagt. »
    Perlmann war versucht, die Frage zu wiederholen, so sinnlos es auch war. Aber er traute sich nicht.
    «Einen wirklichen Film, eh?»sagte sie, als er sich verabschiedete.
    Er hatte das Gefühl, hier drin gleich zu ersticken, und nickte nur.
    «Wer’s glaubt! »murmelte sie.
    Sie sah ihm nach, als er zum Auto zurückging. Er war froh, daß es jetzt zu dunkel war, als daß sie Einzelheiten des Wagens hätte erkennen können. Als er wendete und in Richtung Genua losfuhr, stand sie immer noch unter der Tür.

31
     
    Die Zollkontrolle am Genueser Flughafen war keine große Sache, dachte er und schaltete herunter, nachdem er in einer engen Kurve um ein Haar einen Zusammenstoß verursacht hätte. Er hatte zu großzügig gerechnet. Wenn der Flug pünktlich war, konnte Leskov schon um Viertel nach drei draußen sein, und dann würden sie ankommen, solange noch Lastwagen fuhren. Wenn seine Schätzung für die morgige Fahrt, die in die Stoßzeit hinein reichte, überhaupt stimmte. Er mußte aufpassen, daß Leskov

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