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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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seine Hast nicht bemerkte und eine entsprechende Frage stellte.
    Und überhaupt: Wie wollte er ihm erklären, daß sie weder die Küstenstraße noch die Autobahn nahmen, sondern durch dieses graue, trostlose Tal fuhren, in dem es absolut nichts zu sehen gab? Perlmann hielt an, als ihm das siedend heiß einfiel. Aber es kam ihm keine einzige Ausrede in den Sinn, die auch nur halbwegs plausibel geklungen hätte. Es kamen überhaupt keine Gedanken mehr, die letzten Stunden hatten ihn vollständig ausgelaugt. Der Finger tat weh. Und wie würden die anderen sich die sonderbare Route erklären? Die Kollegen? Kirsten? Die Polizei? Er fuhr weiter. Ich habe ja noch einundzwanzig Stunden.
    Noch bevor er sich zu orientieren vermochte, gelangte er am Hafen auf ein Gelände, das in dichten Nebel eingehüllt war, durchschnitten von Kegeln kalten, rostroten Lichts, die von den hohen Hafenscheinwerfern ausgingen. Man konnte keinen Meter weit sehen, und die eigenen Lichter machten alles nur noch schlimmer. Er stieg aus. Abgesehen vom Geräusch des Wassers war es vollkommen still. Er hatte keine Ahnung, wie er den Wagenpark finden sollte, aber in seiner Erschöpfung war er dankbar für den Nebel und ging immer tiefer hinein.
    Unvermittelt tat sich eine Lücke auf, und zwischen zwei Schwaden hindurch sah er, einige hundert Meter entfernt, die Reihe der Lastwagen, die er vom Schiff her in Erinnerung hatte. Er schlug den Kragen der Jacke hoch und stapfte fröstelnd weiter. Das Gitter sah er erst, als es direkt vor seinem Gesicht auftauchte. Es gehörte zu einem Metallzaun, der auf Schienen lief und offenbar den ganzen Wagenpark umschloß. Er mochte drei, vier Meter hoch sein. Eine Weile blieb Perlmann entmutigt stehen und rauchte. Dann warf er die vom Nebel feuchte Zigarette, die scheußlich schmeckte, weg und begann zu klettern.
    Es war schwierig, die Maschen des Gitters waren eng und boten kaum Halt für die Fußspitzen, und die Hände, von denen er richtig nur die rechte gebrauchen konnte, drohten auf dem feuchten Draht abzurutschen, wenn er den Griff lockerte, weil es weh tat. Schließlich bekam er die Abschlußstange zu fassen, und nach einer kurzen Atempause, in der er wie ein Sack am Gitter hing und spürte, wie die Nässe durch die Hose drang, gelang es ihm, sich mit einem Klimmzug hochzustemmen. Als er das zweite Bein nachzog, verfing sich die Hose an einer Schraube. Auf der Höhe des Oberschenkels gab es einen langen Riß, das Geräusch des reißenden Stoffs schien durch die ganze Hafenanlage zu hallen. Unten angekommen hatte er das Gefühl, etwas vollständig Sinnloses getan zu haben, und nur die schmerzenden Hände und ein verzweifelter Trotz hielten ihn davon ab, sofort wieder hinaufzuklettern.
    Mit ausgestreckten Armen, wie ein Blinder, ging er langsam auf die Lastwagen zu. Das erste, was er berührte, war ein Scheinwerfer. Dann tastete er nach der Stoßstange und fuhr sie mit der Hand entlang, von links nach rechts und wieder zurück. Er nahm die vom Nebel beschlagene Brille ab und ging mit den Augen ganz nahe heran, befühlte das Metall und die Hartgummiauflage, prüfte die Höhe und verglich sie in der Vorstellung mit dem Kühler des Lancias. Er faßte an die massiven Metallträger, die das Ganze hielten, und rüttelte an ihnen im verzweifelten Bewußtsein des Lächerlichen. Danach tastete er sich an der Längsseite entlang und suchte den Füllstutzen des Benzintanks. Er fand ihn erst auf der anderen Seite, nachdem er halb unter die Ladefläche gekrochen war. Der Tank war in der Mitte angebracht, und zwischen Tank und Fahrerkabine gab es eine breite Lücke. Erschöpft lehnte er sich an die Stoßstange, betrachtete die mit Öl und feuchtem Rost verschmierten Hände und entfernte das verdreckte Taschentuch von der Wunde, in stummer Verzweiflung über den bitteren Gedanken, daß eine solche Fürsorglichkeit sich selbst gegenüber ja nun überflüssig geworden war.
    Für eine Weile schien das Bild des klapprigen Lastwagens mit der losen Stoßstange besiegt, und er war bereit für den Rückweg. Doch dann zog es ihn doch noch weiter zum nächsten Lastwagen, den er ebenso genau untersuchte, nachdem er festgestellt hatte, daß es ein ganz anderer Typ war. Der dritte Wagen hatte vorne eine Konstruktion aus zwei mächtigen Metallbalken und wirkte dadurch wie ein Fahrzeug, das entworfen worden war, um alles niederzuwalzen, was sich ihm in den Weg stellte. Perlmann sah, wie es auf eine Wand aus rotem Backstein zufuhr und sie, wie

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