Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Revers, auf dem ein kleines Abzeichen befestigt war, dazu ein rosafarbenes Hemd mit einer blauen Krawatte. Er nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und erzählte etwas über die Figur auf dem efeubedeckten Denkmal, einen Mann mit verschränkten Armen, einem nachdenklich geneigten Kopf und einer Schriftrolle in der Hand. Perlmann nahm kein einziges Wort auf, er wandte nur den Kopf in Angelinis Richtung, als er merkte, wie der Italiener seinen Blick immer wieder suchte.
Er hatte gemeint, sich in der Qual der Gegenwartslosigkeit auszukennen. Jetzt merkte er, daß es noch eine Steigerung gab. Während Angelinis Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm drang, zog sich die Gegenwart aus allem zurück, was ihn umgab. Sie wich aus den Dingen und ließ eine Welt zurück, die ihm vorkam wie eine leblose Kulisse aus Pappmache, in der alle Bewegungen so ziellos und künstlich erschienen wie bei Figuren in einer Turmuhr. Er war froh, endlich auf das Haus mit der verwaschen gelben Fassade, den grünen Fensterläden und den beiden Palmen vor der Tür zugehen und durch die eigenen Bewegungen ein bißchen Wirklichkeit zurückgewinnen zu können.
Es war niemand da, um sie zu empfangen. Die Türen zum Ratssaal und zum Büro des Bürgermeisters waren verschlossen. Auf dem Flur des ersten Stocks, von dem aus man in das staubige Treppenhaus und die Halle mit dem bröckelnden Putz hinuntersehen konnte, gingen rauchend und schwatzend Angestellte vorbei, die der wartenden Gruppe nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten und in irgendwelchen Räumen verschwanden.
Während die anderen verlegen auf den Absätzen wippten oder zum Glaskasten mit den Aushängen hinübergingen, genoß Laura Sand die Situation. Ihr Gesicht zeigte eine spöttische Zufriedenheit, sie schlenderte in ihrer schwarzen Kordhose und der eleganten hellgrauen Jacke den Flur entlang und sagte schließlich amüsiert zu Perlmann, sie seien ja wohl alle ein bißchen zu fein angezogen. Angelini, der die ganze Zeit über wie auf Kohlen gesessen hatte, drehte ruckartig den Kopf, als er ihre Bemerkung hörte. Mit dem eisigen Gesicht eines Chefs trat er die gerade angezündete Zigarette auf dem gekachelten Boden aus und betrat ohne anzuklopfen das nächstgelegene Büro.
Als er wieder herauskam, folgte ihm ein schmaler, bleicher Mann mit schwarzer Hornbrille, der aussah und sich benahm wie die überzeichnete Figur des beflissenen Bürodieners in einem Film. Nachdem er zunächst zwei falsche Schlüssel probiert hatte, schloß er ihnen schließlich das Büro des Bürgermeisters auf.
Der Raum wurde beherrscht von einem schwarzen, geschnitzten Schreibtisch und einem Stuhl, der mit seinen Verzierungen und der hohen Lehne an ein Kirchengestühl erinnerte. Dahinter war zwischen zwei silbernen, ziselierten Stangen die Fahne von Santa Margherita aufgespannt, zwei gelbe Löwen auf grün-weißem Grund. Neben der italienischen Fahne in der Ecke hing das Bild des Präsidenten der Republik. Mit einem gequälten Lächeln, das seinen Ärger nicht zu verbergen vermochte, machte Angelini die Gebärde des Gastgebers und lud ein, auf den roten Lederbänken mit den goldenen Noppen Platz zu nehmen. Dann ging er hinaus.
Der Bürgermeister platzte mitten in ein Gelächter hinein, das Ruge durch eine Bemerkung über die dicke Staubschicht auf dem Schreibtisch hervorgerufen hatte. Mit seinem Bauch, dem fettigen Haar und dem Schnurrbart erinnerte er Perlmann an den Wirt in Portofino. Er entschuldigte sich schnaufend für die Verspätung und warf Angelini, der die Tür schloß, einen verlegenen Blick zu. Dann deponierte er die mitgebrachte flache Schachtel und eine Papierrolle auf dem Schreibtisch, und während der aufgewirbelte Staub sich setzte, zog er umständlich einige Blätter aus der Jackentasche.
Es sei ihm eine große Ehre und eine besondere Freude, fing er an, Professore Philipp Peremann und seine Gruppe in der Stadt willkommen zu heißen.
«Perlmann», zischte Angelini von der Bank aus, «con l. »
«Scusi», sagte der Bürgermeister und sah kopfschüttelnd in seinen Text, in dem offenbar ein Schreibfehler war. Er bat Perlmann, zu ihm an den Schreibtisch zu kommen, schüttelte ihm die Hand und fuhr dann fort, den vorbereiteten englischen Text zu verlesen, wobei er mit der freien Hand hin und wieder die Hose hochzog, die stets von neuem unter den Bauch zu rutschen drohte.
Perlmann blickte von der Seite auf das verschwitzte Gesicht des Bürgermeisters, auf den schlecht rasierten Hals und den
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