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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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übernachtet hatte.
    «Ich habe kaum geschlafen», sagte er,«so aufgeregt war ich. Das ist ja meine erste Reise in den Westen. »Und nach einer Pause:«Wie der Samstag vergangen ist, weiß ich eigentlich gar nicht. Ach so, natürlich, Jurij kam vorbei. Weißt du, der mit den fünfzig Dollar. Vor Jahren durfte er einmal seinen sterbenden Vater in Amerika besuchen. Er war es, der mich damals vor dem Gefängnistor in Empfang nahm. Und jetzt... wie soll ich das bloß ausdrücken. Weißt du, er hat mir die Reise einfach von ganzem Herzen gegönnt. Richtig gegönnt. Man sagt das ja einfach so. Aber bei Jurij ist es noch etwas anderes: Er ist der einzige Mensch, der wirklich ermessen kann, was es für mich bedeutet, daß ich hierherkommen konnte. Hierher, ans Mittelmeer. An die Riviera. »
    Ein Polizist mit einem Funkgerät kam um die Ecke und ging die Schlange entlang, die sich im Schrittempo fortbewegte. Perlmann fuhr zusammen, und als der Polizist, ein Hüne mit langen Koteletten, plötzlich stehenblieb, auf den Lancia blickte und dann direkt auf ihn zukam, bekam er Herzklopfen und einen trockenen Mund. Der Hüne bedeutete ihm, das Fenster herunterzulassen. Zweimal drückte Perlmann mit feuchten Fingern auf den falschen Knopf, und es kam ihm vor, als sei ihm im ganzen Leben noch nie ein Gesicht so nahe gekommen wie dieses große, dunkle Gesicht hinter der Scheibe.
    «Ihre Lichter sind an», sagte der Hüne freundlich.
    «Oh, ja, mille grazie», stotterte Perlmann beflissen.
    Gleich darauf floß der Verkehr wieder. Das Abbiegen bei der Bäckerei war kein Problem, weil ein anderer Polizist der Schlange den Weg wies, und beim großen Platz mit der Säule war es natürlich die dritte Abzweigung.
    Perlmann entspannte sich. Für einige Augenblicke genoß er dieses Gefühl und lehnte sich ganz in den Sitz zurück. Dann schreckte er auf, es war eine Empfindung, wie wenn man ohne äußeren Anlaß aus dem Halbschlaf auffährt: Wie konnte er sich entspannen, wo er doch in den Tod fuhr.
    Während Leskov von den Verzögerungen und dem Chaos auf dem Moskauer Flughafen erzählte und Wolken seines süßlichen Tabaks gegen die Windschutzscheibe blies, kam die Unterführung in Sicht. Perlmann wollte sich gerade links einordnen, da raste von hinten ein Jaguar heran und drängte ihn ab. Um ein Haar hätte er die Nerven verloren. Plötzlich entluden sich alle Angst und Verzweiflung und mündeten in den siedend heißen, übermächtigen Wunsch, das Steuer herumzureißen und mit voller Wucht in diese dunkelrote, blitzende Karosserie hineinzukrachen. Um Gottes willen, nur jetzt kein Unfall. Die Warnung schien aus weiter Ferne zu kommen, und ihre Kraft schien durch diese Ferne gehemmt, aber Perlmann klammerte sich mit dem Rest seines Willens fest daran, bremste hart, so daß Leskov erneut nach vorn kippte, und als der Jaguar vorbei war, schlüpfte er knapp vor dem Betonsockel, der den Beginn der Unterführung markierte, hinüber auf das Kopfsteinpflaster. Sofort gab er wieder Gas und fragte Leskov, der die Hand jetzt am Griff über der Tür hatte, wie das Umsteigen in Frankfurt gewesen sei.
    Mühsam, sagte er. Und verlaufen habe er sich.«Da gibt es diese endlos langen Korridore, man hat das Gefühl, niemals anzukommen. »
    «Ich kenne den Flughafen», sagte Perlmann. Er hatte keine Kraft mehr, seine Gereiztheit zu verbergen.
    Es war zwanzig nach vier, als sie am Fluß ankamen und durch Molassana fuhren. Halb fünf, das war nur eine ungefähre Zeitangabe, das kann variieren, zudem ist Wochenbeginn, da wird vielleicht mehr transportiert als sonst.
    Als die Steigung begann, fragte Leskov aus einer Pause heraus, wann sie denn nun auf die Küstenstraße kämen.«Die gibt es doch sicher. Oder?»
    Perlmann zog den Zigarettenanzünder, der eben geklickt hatte, aus der Fassung und hielt ihn lange an den Tabak. Während er ihn zurücksteckte, blies er den Rauch langsam durch die Nase.
    «Ja», sagte er dann mit einer Ruhe, unter der es vibrierte,«es gibt eine Küstenstraße. Aber sie ist im Moment wegen eines schweren Unfalls gesperrt, die Meldung kam im Radio. Ich fahre deshalb hintenherum durch die Berge. »
    Die Sätze kamen flüssig, sie klangen ein bißchen so, als würde er sie ablesen. Er rief sie jetzt einfach aus dem Gedächtnis ab, nachdem er sie auf dem Weg zum Flughafen innerlich wieder und wieder formuliert und darauf geachtet hatte, daß sie weder auffällig knapp noch unnötig lang ausfielen.
    «Ach so», sagte Leskov enttäuscht.«Und

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