Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
hochgeklappten Kofferraumdeckels schnell aus dessen Handkoffer nehmen, hinter etwas verstecken und sofort weiterfahren.
«Ich muß schnell etwas an den Reifen nachsehen», sagte er, als die Tankstelle in Sicht kam.
Er hielt neben dem Sockel mit dem Luftdruckmesser, öffnete von innen den Kofferraum und ging mit hastigen Schritten nach hinten. Die Riemen von Leskovs Handkoffer waren schon gelöst, da spürte er den Wagen wackeln und sah am Kofferraumdeckel vorbei nach vorn. Leskov hievte sich schnaufend aus dem Wagen. Er mußte sich mit beiden Armen am Rahmen festhalten und hochziehen. Die Wagentür schlug gegen den Sockel. Blitzschnell drückte Perlmann den Deckel zu und bückte sich nach dem Luftdruckmesser.
«Ich bin heute den ganzen Tag gesessen, und die Sitze im Flugzeug waren so eng», sagte Leskov gähnend und reckte sich.«Ich muß mir einen Moment die Beine vertreten. »
Perlmann schraubte am Rad die Ventilkappe ab und gab vor, den Druck zu messen. Seine Wut über diesen unförmigen Russen, der jetzt bei seiner Gymnastik ungeniert die unappetitlichsten Geräusche machte, steigerte sich zum Haß. Dieser Haß würde nachher helfen, dachte er. Er verabscheute sich wegen dieses Gedankens, und dadurch wurde der Haß noch heftiger. Er wechselte zum anderen Hinterrad. Leskov beugte sich gerade nach vorn und streckte ihm sein breites Hinterteil entgegen, ein grotesker und ekelhafter Anblick. Nein, er konnte nicht darauf bauen, daß die Gymnastik lange genug dauerte, zumal er ja erst wieder nach vorn zum Sitz mußte, um den Kofferraum ein zweites Mal zu öffnen. Er stellte das Meßgerät zurück auf den Sockel und setzte sich hinters Steuer. Dort sank er in sich zusammen und war bereit, ins Hotel zu fahren und den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Erschöpft schloß er die Augen. Schlafen, sehr lange schlafen, so lange, bis alles vorbei war, seine Entlarvung, die Schmach, alles.
Leskovs Kopf erschien in der offenen Beifahrertür.«Glaubst du, daß es hier eine Toilette gibt?»fragte er unsicher.
«Keine Ahnung», sagte Perlmann matt.
Leskov schien damit gerechnet zu haben, daß Perlmann mitkäme, um das herauszufinden. Jetzt ging er allein auf den Tankwart zu und gestikulierte. Perlmann faßte an den Hebel für den Kofferraum und setzte sich bereit, die Füße bereits auf dem Pflaster. Aber der Tankwart schüttelte den Kopf, einmal, dann noch einmal.
Leskov kam in seinem watschelnden Gang zurück zum Auto. Er warf einen Blick auf den Rücksitz.«Da liegt eine Medaille. Mit Band. Wie von einer Ehrung. Darf ich wissen, was sie bedeutet?»
Warum habe ich nicht daran gedacht. Ich hätte das Zeug doch in den Handkoffer tun können.«Wie? Ach so, das. Keine Ahnung. Muß jemand vergessen haben.»Es war nicht anstrengend gewesen, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. Die Erschöpfung hatte das von selbst besorgt.
«Die Rolle daneben sieht fast aus wie eine Urkunde. Wollen wir mal nachsehen?»
Perlmann schluckte.«Ich will jetzt weiterfahren», sagte er gepreßt.
Über Leskovs Gesicht huschte ein Schatten.«Natürlich.»Er zwängte sich auf den Sitz. Ein Hosenträger verfing sich im Türgriff.«Wie weit ist es noch?»
«Nicht mehr weit», sagte Perlmann, und die Stimme wollte ihm nicht mehr gehorchen.
37
Die Uhr zeigte sechs Minuten vor fünf, als Perlmann mit eingeschalteten Scheinwerfern zurück auf die Straße fuhr. Es waren Wolken aufgezogen, denen die letzten Sonnenstrahlen vom Meer her einen violetten Schimmer verliehen. Es herrschte ein sonderbares, feindliches Zwielicht. Er fuhr langsam, kaum vierzig, und hielt sich ganz rechts.
«Ist etwas?»fragte Leskov nach einer Weile.
Perlmann gab keine Antwort, sondern starrte nach vorn in die Kurve, wo ein riesiger Lastwagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern auftauchte. Er schirmte mit der Hand die Augen ab und wartete, bis er vorbei war. Dann hielt er an, drückte den Hebel für den Kofferraum und konnte durch einen Reflex gerade noch verhindern, daß ein überholendes Auto die geöffnete Tür streifte. Während er nach hinten hastete, stemmte er sich innerlich gegen das wütende Gehupe und die blinkenden Scheinwerfer, klappte den Deckel des Kofferraums ganz hoch und riß den Reißverschluß von Leskovs Handkoffer auf. Er war vollgestopft mit Papieren. Wie sollte er aus diesem Wust den entscheidenden, den gefährlichen Text herausfischen? In fiebriger Hast wühlte er in den Papieren, alles russische Texte, einige getippt, die meisten
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