Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Kopf in die Hände gestützt, aber es war ein Plumpsklo, so daß er sich nur an die Tür lehnen konnte, Stirn und Nase hart gegen den schmierigen Kunststoff gepreßt.
Es stimmte nicht, daß er nichts zu verlieren hatte. Aber es dauerte, bis Perlmann wieder die nötige Konzentration aufbrachte. Ja, was nicht stimmte, war dies: Wenn er nicht auch gleich noch den Mordplan gestand, und das war schlechterdings undenkbar, so hatte er keine plausible Erklärung dafür, warum er die zweite Fassung beseitigt hatte. Die spielte doch überhaupt keine Rolle, wenn Leskov den englischen Text als den seinen erkannte. Was also hatte er sich von der Beseitigung versprochen? Da hättest du auch noch mich mit dazu beseitigen müssen, könnte Leskov sagen. Die trennende Wand, die zwischen dieser Äußerung und der Ahnung der Wahrheit dann noch bestehen mochte, wäre nur noch hauchdünn und könnte jeden Augenblick einstürzen, wenn Leskov noch einmal über den Tunnel nachdachte.
Und dann hatte Perlmann plötzlich die Vision, daß Leskov, der nun alle moralische Autorität besäße, ihn auffordern würde umzukehren, zurückzufahren und die verstreuten und überfahrenen Blätter wieder einzusammeln. Er sah sich im Dunkeln auf der Böschung herumkriechen und vor hupenden Autos mit aufgeblendeten Scheinwerfern kreuz und quer über die Fahrbahn hasten.
Gegen den scharfen Uringestank ankämpfend atmete er tief ein und dann ganz langsam aus. Ein Geständnis war unmöglich. Es war unmöglich.
«So habe ich mir die Riviera bei Nacht immer vorgestellt», sagte Leskov, als sie auf Recco und später auf Rapallo hinunterblickten.«Genau so. Es ist phantastisch!»
Perlmann blickte nicht hinunter. Er starrte auf die Straße, die von dem einseitigen Lichtkegel erleuchtet wurde. Er fuhr und konzentrierte sich bei jedem Meter ganz darauf: daß er fuhr. Obwohl ihm von der Magensäure noch der Gaumen brannte, hätte er alles für eine Zigarette gegeben. Aber die sechzehnhundert Lire, sein Geld, hatten nicht mehr gereicht, eine Packung zu kaufen. Ganz hinten im Bewußtsein, mit matter Gleichgültigkeit, registrierte er, daß er richtig gedacht hatte: Die Küstenstraße wäre für den ersten Plan, den hinunterrollenden Wagen, nicht in Frage gekommen.
«Wer ist der letzte, der in dieser Woche noch vorträgt?»fragte Leskov, als die Lichter von Santa Margherita in Sicht kamen.
Noch einmal, ein letztes Mal auf dieser Fahrt, fuhr Perlmann zusammen. Während der letzten vier qualvollen, atemlosen Stunden war es ihm gelungen, Leskov nicht direkt anzureden, das du zu vermeiden. Es war manchmal anstrengend gewesen und hatte sprachliche Kapriolen erfordert. Aber er hatte es einfach nicht über sich gebracht. Es mußte einen Satz geben, dachte er, der es auch jetzt schaffen würde. Aber sein Gehirn wollte nicht mehr, und so sagte er es denn:«Du
Sie bogen um die Ecke. Die schräge Pinie. Die Lampen. Die Leuchtschrift. Die gemalten Fensterfassungen. Die Fahnen. Bei Millar, Ruge und Evelyn Mistral brannte Licht. Perlmann fuhr auf den Parkplatz der Tankstelle. Sie war zu. Also keine Fragen wegen des Blechschadens. Als er Leskovs Handkoffer aus dem Kofferraum hob, sah er ein Stückchen des roten Gummibandes, das im Reißverschluß des Außenfachs hängengeblieben war.«Hier entlang», sagte er und nahm, als sei er Leskovs Diener, in jede Hand einen Koffer.
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Was nun kam, hatte Perlmann so oft als Schreckensvision vor sich gesehen, daß es vom vielen Vorstellen gleichsam abgenutzt war. Jetzt, wo es tatsächlich stattfand, war es nur noch wie eine bis zum Überdruß geprobte Szene – matt, papieren und ohne Wirklichkeit des Erlebens; das einzig Wirkliche war der eckige Holzgriff an Leskovs Koffer, der ihm in die Hand schnitt. Doch mit dieser Unwirklichkeit war keine Erleichterung verbunden. Die Empfindung des Verbrauchten und Toten, die dem Gang die Freitreppe hinauf anhaftete, war im Gegenteil, Perlmann wußte es, Ausdruck äußersten Entsetzens. Sein Schritt war schleppender, als das Gepäck es verlangte, und der Körper fühlte sich an wie der einer Marionette, deren Bewegungen man in allen Einzelheiten eigens in Gang setzen mußte. Es kostete eine gigantische Willensanstrengung, diesen Körper Schritt für Schritt näher auf die Eingangstür hin voranzuschieben.
Als er den Säulenvorbau betrat, merkte er, daß Leskov ihm nicht mehr folgte. Er stand auf dem großen Treppenabsatz und blickte zur erleuchteten Fassade des Hotels
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