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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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dem Niemandsland. Kein Plagiat. Kein Plagiat, und kein Mord. Er wiederholte die Worte immer wieder, laut und in Gedanken, wer weiß wie viele Male, bis sie, ausgehöhlt von Müdigkeit, nicht mehr Ausdruck eines Gefühls waren, sondern nur noch ein mechanisches inneres Echo, das immer schleppender wurde.
    Hätte ich nicht durch das Schreiben in der Hafenkneipe Selbstvertrauen gewonnen und den Mut, zu meinen eigenen Aufzeichnungen zu stehen, so hätte ich Maria nicht angerufen, und der Text wäre nicht rechtzeitig fertig geworden. Hätte ich die Hafenrundfahrt nicht gemacht und mich nicht ins Dolmetschen hineingesteigert, so wäre es nicht zum Schreiben in der Hafenkneipe gekommen. Also hatte genau diejenige Neigung, die ihn in höchste Gefahr gebracht hatte, nämlich sein Sprachfimmel, ihn zugleich auch gerettet. Perlmann atmete auf. Dieser Zusammenhang gab ihm das Gefühl, daß er die erlösende Wendung der Dinge nicht nur einer Verkettung von Zufällen zu verdanken hatte, sondern daß sie ihren Ursprung in ihm selbst hatte, in seiner Art zu denken und zu fühlen.
    Er ging unter die Dusche und wusch sich die Haare. Die vielen aufgekratzten Stellen brannten. Aber es war ein heilsames Brennen, denn es trug dazu bei, daß der Nebel aus Alkohol und Tabletten sich zu lichten begann. Er duschte heiß und kalt und dann dasselbe noch einmal, neues Leben durchströmte ihn, und jetzt fühlte er sich wieder ganz nüchtern und klar.
    Es stimmte gar nicht, daß er sich selbst gerettet hatte. Das genaue Gegenteil war der Fall: Hätte ich Maria nicht angerufen, wären die Fächer Samstag morgen leer geblieben, ich hätte Leskovs Text wieder mitgenommen und hätte den ganzen Alptraum mit dem Tunnel nicht zu durchleben brauchen. Sein Fanatismus des Übersetzens hatte ihn nicht nur an den Rand eines Plagiats gebracht, sondern auch noch an den Rand eines Mordes und Selbstmordes. Die fanatische, verzweifelte Suche nach Gegenwart in der Vertrautheit der fremden Sprachen hatte ihm damals in Genua für einen Augenblick den Mut gegeben, auch vor den anderen zu sich selbst zu stehen, und genau durch diesen Mut war es dazu gekommen, daß er drei endlose Tage und Nächte lang in einer Welt der Phantasmen und des Schreckens gelebt hatte, der in der wirklichen Welt nicht das geringste entsprach.
    Gerettet haben mich einzig und allein Zufälle, banale Zufälle und Unachtsamkeiten. In Perlmanns Kopf öffnete sich eine Schleuse, und eine Kaskade von Wenn-dann-Gedanken überflutete ihn. Wäre nicht noch das Ausgleichstor geschossen worden, hätte es kein Elfmeterschießen gegeben, Giovanni wäre bei der Sache gewesen und hätte den Kopierauftrag für Leskovs Text weitergeleitet. Dann wären Samstag morgen beide Texte in den Fächern gewesen, und das hätte mir erlaubt, die Sache ohne Gesichtsverlust richtigzustellen. Hätte Giovanni gemacht, was er sollte, und wäre Maria wegen der Leute von Fiat nicht fertig geworden, dann wäre nur der fatale Text in die Fächer gelangt, die Katastrophe wäre, statt nur in meiner Vorstellung, in der wirklichen Welt eingetreten. Hätte Giovanni Leskovs Text auf der Ablage unter der Theke einfach vergessen, dann wäre mein Fach am Samstag morgen als einziges leer geblieben, ich hätte nachgefragt, den wahren Vorgang erfahren, und dann wäre es zu keinem Mordplan gekommen. Vielleicht hätte ich aber auch nicht nachgefragt, gelähmt wie ich war. Hätte Giovanni den Text auf der Ablage vergessen, dann wäre Signora Morelli beim Verteilen aufgefallen, daß mein Fach als einziges leer blieb, und dann hätte sie beim Kopierer nach dem Original gesucht. Hätte mein Fach in einer Reihe mit den Fächern der anderen gelegen, hätte ich also das Zimmer nicht gewechselt, so hätte die Signora beim Verteilen gestutzt, dann gesehen, daß der Text in meinem Fach ein anderer war, sie hätte beim Kopierer das Original gesucht, ich hätte, als ich aus Portofino zurückkam, zwei Texte im Fach gehabt, und durch Marias Kärtchen hätte sich die Sache schon da aufgeklärt. Hätte ich also nicht dieses übertriebene Bedürfnis nach leerem Raum, so wäre mir der Tunnel erspart geblieben. Hätte es am Samstag bei meiner Rückkehr aus Portofino nicht dieses Geräusch im Nebenraum gegeben, so hätte ich Silvestris Exemplar aus dem Fach genommen und den wahren Sachverhalt erkannt. Und hätte ich bei der Ankunft mit Leskov einen Blick auf den gefürchteten Text in meiner Hand geworfen, nur einen einzigen kurzen Blick, so hätte ich nicht in

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