Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
wieder an der Tür, wandte sich noch einmal um und winkte mit ironischer Geziertheit. Die anderen guckten und lachten, ein Kollege deutete auf die Wange, dort mußte ein Abdruck von Sheilas violett geschminkten Lippen sein. Sheila sah es durch das Glas der Tür und lächelte, die Zunge zwischen den Zähnen. Mit eisigem Gesicht hielt Millar immer noch die Tür des Taxis. Sheila stieg ein und zog an ihrem kurzen Rock.
Ruge und von Levetzov hatten sich damals, bei der ersten Anfrage, sofort erkundigt, ob auch Millar mit von der Partie sei. Vielleicht wären sie auch ohne ihn gekommen. Aber Perlmann war einfach keine Begründung eingefallen, mit der er diesen Brian Millar, dessen Name in aller Munde war, hätte übergehen können.
Er machte Licht und ging unter die Dusche. Zu Hause duschte er tagsüber nie. Doch jetzt sollte alles weggespült werden, so daß er dem Mann mit dem überwachen Blick neu und unbefangen begegnen konnte. Wie gestern abend schon und heute morgen duschte er sehr lange, man könnte meinen, ich hätte einen Sauberkeitstick. Er versuchte sich einzureden, daß das viele Wasser die Ungeschicklichkeiten und die Beflissenheit des Nachmittags ungeschehen machen könne. Das bevorstehende Abendessen, sagte er sich, war der eigentliche Beginn. Alles Vorherige war zufällig und zählte nicht.
Als er das Wasser aus den Ohren geschüttelt hatte und das Telefon hörte, dachte er sofort, es habe gewiß schon lange geklingelt. Tropfnaß lief er durch das Zimmer. Während er zum Hörer griff, betrachtete er seine nassen Fußspuren auf dem taubenblauen Teppich und spürte, wie ein verzweifelter Ärger über seine Beflissenheit, die allen guten Vorsätzen hohnsprach, in ihm aufstieg.
«Hi, Phil», sagte die Stimme nur. Perlmann erkannte sie sofort. Die beiden Silben genügten, um ihm in Erinnerung zu bringen, was er Agnes damals, nach der Rückkehr aus Boston, ohne viel Erfolg zu erklären versucht hatte: Diese Stimme formte die Worte in einer gänzlich distanzlosen Art und Weise. Ihr Tonfall zeigte nicht nur an, daß dies die Muttersprache des Sprechers war; der Tonfall war nicht nur Ausdruck der Selbstverständlichkeit, mit der diese Sprache dem Redenden zur Verfügung stand. Es war mehr im Spiel: Der Tonfall enthielt, davon konnte ihn auch Agnes’ Stirnrunzeln nicht abbringen, die Botschaft, dies sei die einzig wirklich ernst zu nehmende Sprache. Selbstgerecht, verstehst du, seine aufdringlich sonore Stimme ist selbstgerecht, er redet, als seien die anderen selbst daran schuld und sehr zu bedauern, daβ sie nicht auch dieses Ostküsten-Amerikanisch, diese Yankee-Sprache, sprechen. Diese Selbstgerechtigkeit, diese sonore Arroganz, das ist es, was mich auf die Palme gebracht hat.
«Hi, Brian», sagte Perlmann, «how are you.»
«Oh, fine», sagte die Stimme, und nun war Perlmann wieder ganz sicher, daß haargenau stimmte, was er damals zu Agnes gesagt hatte.
«Übrigens, Phil», fuhr die Stimme fort, und jetzt ging Perlmann auch diese amerikanische Manie mit den abgekürzten Vornamen wieder auf die Nerven,«ich wohne, wie es scheint, unmittelbar neben Ihnen.»
Perlmann sah Ruges Schreibtisch vor sich, der gegen den seinen stand, und es kam ihm vor, als würden die beiden Wände seines Zimmers von riesigen Bulldozern immer weiter zusammengeschoben, bis sie ihn zerquetschten.
«How nice», hörte er sich sagen und hatte den Eindruck, mit diesen leeren Worthülsen schon jetzt seine Niederlage zu besiegeln. Noch nie war er sich, wenn er irgendwo nackt gestanden hatte, so nackt vorgekommen.
«Ich auch», sagte er schließlich, als Millar betonte, wie er sich freue, ihn nachher beim Essen zu sehen.
Um seine Füße herum hatten sich große Wasserflecke gebildet, die nach außen weiterwucherten. Er fror und ging erneut unter die Dusche. Es war ganz klar, dachte er, während er das Wasser übers Gesicht laufen ließ: In diesem Zimmer konnte er nicht bleiben. Und das neue Zimmer mußte weit weg sein, auf einem anderen Stockwerk und möglichst im anderen Flügel des Hotels.
Aber mit welcher Begründung sollte er Signora Morelli darum bitten? Und wie konnte er verhindern, daß Ruge und Millar seinen Auszug persönlich nahmen? Er mußte etwas zerstören, was das Zimmer unbewohnbar machte und was sich nicht schnell reparieren ließ. Rasch trocknete er sich ab, schlüpfte in den Bademantel und sah sich um. Vielleicht das Telefon aus der Wand reißen und behaupten, er sei über die Schnur gestolpert. Aber ein
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