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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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hatte er dort auch unter Kronleuchtern gesessen, gefühllos und taub für alles, froh, daß von seiner Seite keine Rede erwartet wurde.
    Bestimmt sind auch Sie bald dran. Der Satz hatte sich in Perlmann bereits geformt; doch dann gelang es ihm zu seiner Überraschung, ihn nicht auszusprechen. Ein kleiner, ein winziger Schritt in Richtung auf das Ideal der Unbeflissenheit. Plötzlich ging es ihm gut, und seine Stimme klang fast aufgeräumt, als er zu Evelyn Mistral sagte:
    «Solche Entscheidungen haben stets auch etwas Zufälliges an sich. Das ist in Spanien gewiß nicht anders, oder?»
    Da sei es genauso, sagte sie. Milde ausgedrückt. Was sie am meisten ärgere, sei, daß oft Professoren ausgezeichnet würden, die im Grunde längst aufgehört hätten zu arbeiten, nur noch von ihren vergangenen Meriten zehrten und im Schutze einer vor Jahren entstandenen Reputation faulenzten.
    «Du wärst entsetzt, Philipp, wenn du das sähest. Das sind Leute, die überhaupt nichts mehr leisten!»»
    Auf ihrer Stirn, direkt über der Nase, hatte sich ein schwacher rötlicher Streifen gebildet. Perlmann hatte ihr you als du gehört, und die Spannung zwischen dieser Vertraulichkeit und ihrer Empörung, die in ihn hineinschnitt wie ein großes, scharfes Messer, war kaum auszuhalten. Warum habe ich bloß gedacht, sie sei anders. Wegen des roten Elefanten?
    Er war froh über das Getue, das von Levetzov jetzt wegen des Essens machte, um zu zeigen, daß er ein Gourmet sei. Die Stille, die danach eintrat und in der man nur noch die Geräusche des Bestecks und die Stimmen von den Nebentischen hörte, nahm er als ein Zeichen, daß er von nun an nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.
    «Übrigens, Phil», sagte Millar in die Stille hinein,«die Sache mit dem Preis wundert mich nicht. Am Tag vor der Abreise war ich noch bei Bill in Princeton – Sie kennen ja Bill Saunders -, und der erzählte mir, daß demnächst eine Einladung für ein Gastsemester an Sie ergehen wird. Die wissen dort schon, was sie tun», fügte er mit einem Lächeln hinzu, in dem sich, wie Perlmann schien, die übliche Hochachtung für Princeton mit einem mühsam ferngehaltenen und dennoch genossenen Zweifel an der Weisheit dieser ganz besonderen Entscheidung mischte.
    Obwohl er das Fischmesser aus lauter Verzweiflung so verkrampft hielt, als müsse er damit ein Stück zähes, sehniges Fleisch schneiden, war Perlmann stolz, daß es ihm gelang, Millar nicht anzusehen. Nichts sagen. Die Stille aushalten.
    «Bill war übrigens ein bißchen sauer, daß Sie ihn nicht ebenfalls eingeladen haben», sagte Millar schließlich, und dadurch, daß in seiner Stimme eine Irritation über Perlmanns ausgebliebene Reaktion mitschwang, klang es fast, als sei er selbst Bill Saunders, der sich beklagte.
    «Ach, wirklich?»sagte Perlmann und sah Millar einen Moment lang an. Er war glücklich über den Ton milder Ironie, der ihm gelungen war, und jetzt blickte er Millar ein zweites Mal an, länger und ganz ruhig. Nicht stahlblau sind die Augen, sondern porzellanblau. Auf Millars Grinsen, dachte er, lag ein Schatten der Unsicherheit, und daß er jetzt forsch und geschwätzig über Princeton im allgemeinen zu reden begann, schien ihm diesen Eindruck zu bestätigen. Aber statt eines Triumphgefühls entstand in Perlmann plötzlich ein Vakuum, und dann stürzten die Empfindungen eines Verfolgten auf ihn ein. Warum lassen sie mich nicht in Ruhe. Während er im Zeitlupentempo Gräten entfernte, rang er den Impuls nieder aufzustehen und wegzulaufen. Erleichtert griff er zu, als er spürte, wie ihn Millars Sprache auch jetzt wieder wütend zu machen begann. Gierig stürzte er sich hinein in seine Wut.
    Millar ließ sich in seine Sätze, vor allem in die idiomatischen, kolloquialen Wendungen, mit einem Genuß hineinfallen, der Perlmann abstieß. Suhlen. Er suhlt sich regelrecht in seiner Sprache. Perlmann haßte Dialekte, und er haßte sie, weil sie oft genau so gesprochen wurden, mit derselben stampfenden Anmaßung, mit der Millar sein Yankee-Amerikanisch sprach. Am allerschlimmsten fand er das bei dem Platt, mit dem er aufgewachsen war. Daß ihm seine Eltern zum Schluß sehr fremd geworden waren, hatte viel damit zu tun gehabt. Je älter sie wurden, desto trotziger hatten sie darauf bestanden, mit ihm Platt zu sprechen, und je deutlicher er diesen Trotz gespürt hatte, desto entschiedener hatte er mit ihnen Hochdeutsch gesprochen. Es war ein stummer Kampf mit Worten gewesen. Darüber reden

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