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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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über versäumte Hausaufgaben. Sie kehrten immer wieder, diese Sätze, aufdringlich wie ein nicht enden wollendes, nie abflachendes Echo.
    Perlmann kannte es nur zu gut, dieses quälende Kreisen von Sätzen, diese Sucht, sich an einmal geäußerte Sätze zu klammern, und jedesmal, wenn er wieder in diesen Sog geriet, kam es ihm vor, als habe er den größten Teil seines Lebens damit zugebracht, auf diese Weise Sätzen nachzuhorchen, die ihn verletzt oder geängstigt hatten. Agnes hatte darunter gelitten, daß er manchmal nach Tagen, sogar Wochen, plötzlich mit einem solchen Satz kam und ihm ein Gewicht, eine Dramatik beimaß, die er nie gehabt hatte – einfach weil er nun so lange an ihm gekaut hatte, auf Spaziergängen oder während schlafloser Stunden. Oftmals konnte sie sich gar nicht mehr daran erinnern, etwas Derartiges gesagt zu haben. Das wiederum kam ihm vor wie Hohn und machte ihn auf hilflose Art wütend. Er war verbittert, fühlte sich von allen allein gelassen und verkroch sich. Agnes erklärte ihm, wie gefährlich dieses Satzgedächtnis sei, wie gehemmt es einen machen konnte, so daß man sich gar nicht mehr traue, spontane Dinge zu sagen, wenn das Gesagte dann auf die Goldwaage gelegt und einem später vorgehalten werde wie ein Verbrechen. Er hatte das eingesehen, für dieses Mal hatte die Einsicht geholfen. Doch beim nächstenmal war er von neuem in die Falle gelaufen.
    Er richtete sich auf und machte Licht. Morgen früh bei der ersten Arbeitssitzung in der Veranda würde er Regie führen müssen. Er mußte das mit Geschick und Übersicht tun, um zu erreichen, daß er mit seinem Beitrag möglichst spät drankam. Dazu brauchte er einen klaren, ausgeschlafenen Kopf. Doch mit dem Dunkel würden auch die Sätze wiederkommen.
    Er ging ins Bad und sah dabei den langen Blick vor sich, den ihm der Arzt zugeworfen hatte, bevor er das Rezept für die zwanzig starken Schlaftabletten ausschrieb. Er ist ein patenter Mann und ein guter Arzt; aber dafür, daβ einer nicht einschlafen kann, hat er kein Verständnis, das kennt er nicht. Perlmann nahm eine halbe Tablette, mehr auf keinen Fall. Dann stellte er den Wecker auf sieben. Die Sitzung sollte um neun beginnen. Ruge, Millar und von Levetzov hatten sich in dem scherzhaften Geplänkel, das es zu dieser Frage gegeben hatte, gegen die anderen durchgesetzt, obwohl diese Stunde für Millars biologische Uhr noch mitten in der Nacht war.
    Perlmann löschte das Licht und wartete auf die Wirkung der Tablette. Unten auf der Uferstraße fuhr ein Motorrad mit Vollgas vorbei. Sonst war es still. Plötzlich schneuzte sich Ruge im Nebenzimmer, drei Trompetenstöße. Es war, als gäbe es überhaupt keine Wand zwischen ihnen, Ruge schien mit seiner körperlichen Gegenwart auch Perlmanns Zimmer ganz auszufüllen. Schlagartig stand Perlmann wieder alles vor Augen: der spiegelbildliche Schreibtisch, dahinter Ruge mit seinem Bauernschädel und den wäßrig grauen Augen hinter der geflickten Brille, und auf der anderen Seite Millar mit seinem Bach.
    Er stand auf und lauschte mit dem Ohr an der Wand. Nichts. Wieder im Bett, ging er noch einmal die möglichen Begründungen für einen Zimmerwechsel durch. Mitten im zweiten Durchgang hatte er es plötzlich: Das Bett, der Rücken; das können sie nicht überprüfen, das müssen sie mir einfach glauben. Er entspannte sich und spürte einen ersten Anflug von Taubheit in den Lippen und Fingerspitzen.
    Jetzt konnten ihm die Sätze nichts mehr anhaben. Und Ruge mochte an seinem Schreibtisch soviel Klavier spielen, wie er wollte, auf dieser Seite war ab morgen niemand mehr. Ruge schüttelte sich vor Lachen, gluckste, rülpste und mußte Luft holen. Sein Flügel kam unaufhaltsam näher, er dehnte sich aus, während Perlmanns Klavier schrumpfte wie schmelzendes Zellophan. Jetzt war es Millar, der spielte, Das Wohltemperierte Klavier, ich sage euch, es ist langweilig, auch wenn ihr das schockierend findet, Millar stand neben dem ockerfarbenen Flügel, und während Evelyn Mistral vor Vergnügen quietschte, verbeugte er sich ununterbrochen, bis er schließlich vom Klingeln des Telefons unterbrochen wurde.
    «Ich wollte nur schnell fragen, ob du gut angekommen bist», sagte Kirsten. Eine dünne Schicht von Taubheit lag auf Perlmanns Gesicht, und die Zunge hatte eine pelzige Schwere.
    «Warte einen Moment», murmelte er und ging mit unsicheren Schritten ins Bad, wo er kaltes Wasser übers Gesicht laufen ließ. In der Hand, mit der er dann den Hörer

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