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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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konnte man nicht. Was hätte es genützt, ihnen zu sagen, daß ihre Ansichten immer starrer und dogmatischer wurden, und daß das viel damit zu tun hatte, daß sie sich immer mehr einfach von den Wendungen und Metaphern des Dialekts leiten ließen, und von den Vorurteilen, die sich darin kristallisierten.
    Der Mann mit den aufgekrempelten Jackenärmeln, dem offenen Hemd und dem bleichen, unrasierten Gesicht, der sich jetzt an der Tür umsah und dann auf sie zukam, mußte Giorgio Silvestri sein. Als Perlmann ihm die Hand gab und die gelassene, ironische Wachheit in seinen dunklen Augen sah, die so ganz anders war als Millars sprungbereite Wachheit, war er sofort von ihm eingenommen. Es kam ihm vor, als sei mit diesem mageren, zerbrechlich erscheinenden Italiener, der abgerissen wirkte, bis man seine Kleider aus der Nähe sah, jemand angekommen, der ihm helfen konnte. Und als er dann als erstes eine Gauloise ansteckte und Millar den Rauch ins Gesicht blies, war Perlmann sich seiner Sache ganz sicher. Einzig daß er auf Evelyn Mistrals Begrüßungsworte mit fließendem, akzentfreiem Spanisch reagierte und sich damit ihr strahlendes Lachen verdiente, war ein bißchen störend.
    Sein Englisch war nicht weniger fließend, wenn auch nicht akzentfrei. Von Laura Sand, die ihn unverwandt ansah, darauf angesprochen, erzählte er von den zwei Jahren, die er auf einer psychiatrischen Station in Oakland bei San Francisco gearbeitet hatte.
    «East Oakland», sagte er zu Millar gewandt, und fuhr, als er dessen säuerliches, von Stirnrunzeln begleitetes Lächeln sah, fort:«Danach hatte ich genug. Nicht von den Patienten, die schreiben mir heute noch. Sondern von dem gnadenlosen, eigentlich muß man sagen: barbarischen amerikanischen Gesundheitssystem. »
    Millar wich der erneuten Rauchwolke aus, als bestehe sie aus Giftgas.
    «Well», sagte er schließlich, unterdrückte, was er auf der Zunge hatte, und widmete sich seinem Nachtisch.
    Silvestri bestellte beim Kellner, den er wie einen alten Bekannten behandelte, sobald er seinen Florentiner Akzent hörte, ein besonderes Dessert und einen dreifachen Espresso. Perlmann machte darüber einen Scherz, und dabei passierte es: Er erlag wieder einmal seinem Berührungstick.
    Seit Jahren kämpfte er gegen diese Angewohnheit, Leute, besonders solche, die er gerade erst kennengelernt hatte, zu berühren, wenn er sich mit einem vereinnahmenden Scherz oder einer persönlichen Bemerkung an sie wandte. Wie jetzt bei Silvestri legte er ihnen am Tisch die Hand auf den Unterarm, und im Stehen geschah es ihm oft genug, daß er plötzlich seinen Arm um ihre Schulter gelegt fand. Es gab Leute, die darin einfach ein kontaktfreudiges, liebenswertes Naturell sahen, und andere, die sein Verhalten unangenehm berührte. Seine Berührungssucht machte keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, und bei Frauen kam es nicht selten zu Mißverständnissen. Die Gegenwart von Agnes hatte geholfen, aber nicht immer, und wenn sie Zeuge geworden war, hatte man an ihrem Gesicht ablesen können, wie rätselhaft und auch unheimlich sie es fand, daß gerade er, der am liebsten am Rande großer, leerer Plätze saß, diesen Tick hatte. Ihm selbst war es nicht weniger rätselhaft, und er empfand den Zwang jedesmal als einen Riß, der mitten durch ihn hindurchging.
     
    Es war von Levetzovs Idee, nach dem Essen gemeinsam in den Salon hinüberzugehen, wo die ockerfarbenen Sessel standen. Brian Millar, der als letzter kam, weil er den kleinen Raum inspiziert hatte, in dem die runden Spieltische mit dem grünen Filz standen, blieb stehen und ging dann auf den Flügel zu.
    «Ein Grotrian Steinweg», sagte er,«den ziehe ich jedem Steinway vor. »Er schlug ein paar Töne an und klappte dann den Deckel wieder zu.«Ein anderes Mal», lächelte er, als von Levetzov ihn aufforderte, etwas zu spielen.
    Perlmann spürte, wie sein Atem plötzlich schwerer ging. Jetzt kann er auch das noch. Er bat den Kellner, der die Getränke brachte, ein Fenster zu öffnen.
    Von Levetzov hob sein Glas.«Da es sonst niemand tut, möchte ich hiermit alle begrüßen und auf gute Zusammenarbeit anstoßen», sagte er mit einem Seitenblick auf Perlmann, der spürte, wie sich der Schweiß seiner Hände mit dem Kondenswasser am Glas vermischte.«Und dort oben werden wir also arbeiten», fuhr er fort und zeigte auf die Tür der Veranda, zu der drei Stufen hinaufführten.«Ein perfekter Raum für unsere Zwecke, ich habe mir vorhin ein Bild gemacht. Veranda Marconi

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