Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
schüttelte nur den Kopf. Er fand die Worte nicht mehr, die er sich zurechtgelegt hatte. Sie sah ihn fragend an, und als die Pause zu lange dauerte, griff sie nach den Zigaretten.
«Irgendwie werde ich Ihre Gruppe vermissen», meinte sie, und wie immer atmete sie im Reden den Rauch aus.
Jetzt wußte er, wovor er sich fürchtete: daß die Wut auf die anderen ihn dazu verleiten könnte, aus diesem Abschied etwas unnötig Gefühlvolles, Sentimentales zu machen. Es wäre nicht das erste Mal. Er schluckte und sah zu Boden.
«Übrigens», sagte sie lächelnd,«ich habe Verwandte in Mestre. Eine schöne Stadt kann man es natürlich nicht nennen. Aber häßlich – nein, häßlich ist es überhaupt nicht. Ein bißchen eng vielleicht. Aber auch sympathisch. »
«Ja, so habe ich es auch erlebt», sagte Perlmann, dankbar für das Thema.«Besonders gefallen hat mir die Piazza Ferretto. Und die kleine Galleria daneben. »
«Sie sind also wirklich dort gewesen?»
«Zwei Tage lang. »
«Beruflich?»
Perlmann schüttelte nur den Kopf und sah sie an. Ihre Augen bekamen einen sonderbaren Glanz, und um ihren Mund herum zuckte es.
«Doch nicht etwa wegen jenes Satzes?»
Perlmann nickte, und jetzt gelang ihm ein Lächeln.
«Sie meinen, Sie sind wegen dieses einen Satzes extra von Deutschland nach Mestre gereist?»
Er nickte.
Sie neigte ein wenig den Kopf, während sie einen langen Zug aus der Zigarette nahm.
«Das ist natürlich, wenn ich es so ausdrücken darf, ein bißchen... irre. Aber wenn man Ihren Text kennt,... na ja, so ganz überraschend ist es dann nicht mehr. Ihre Wut auf diesen Satz ist mit Händen zu greifen. Ich mußte lachen, als ich diesen Abschnitt schrieb. War der Satz denn danach... besiegt?»
«Ja», sagte Perlmann.«Aber es gibt noch eine Unmenge anderer.»
Lachend drückte sie die Zigarette aus und sah auf die Uhr.«Ich muß los. Ihre Texte bleiben ja erhalten», fügte sie hinzu und klopfte auf den Computer.«Vielleicht lese ich sie noch einmal in aller Ruhe.»Dann gab sie ihm die Hand.« Buona fortuna! »
«Ihnen auch», sagte Perlmann,«und danke für alles. »
Ein paar Minuten später, vom Zimmer aus, sah er sie bei den anderen stehen. Leskov umarmte sie beim Abschied. Kurz bevor Perlmann sie aus dem Blick verlor, sah er, wie sie sich mit der Hand durch das glänzende Haar fuhr. Out. Mega-out.
Leskovs Text paßte noch genauer in die Plastikhülle als angenommen. Die Blätter hatten nur ganz wenig Spiel. Perlmann nahm das Lineal und maß nach: 1,6 cm der Breite und 1,9 cm der Höhe nach. Der Reißverschluß allerdings hatte sich nur mit Mühe öffnen lassen. Es war ein billiger Verschluß, und zwei der Zähnchen schienen danach bereits ein bißchen locker zu sitzen. Auf keinen Fall durfte man ihn zu oft betätigen. Warum hatte er den Wassertest nicht gleich gemacht. Ärgerlich nahm er die Blätter wieder heraus. Beim Zuziehen mußte er am Anfang fast Gewalt anwenden und erschrak, als es dann ausgerechnet bei den lockeren Gliedern plötzlich schnell ging, bevor der Zug wieder steckenblieb und nur mit größter Mühe bis ganz zum Anschlag zu bewegen war. Vorsichtig tauchte er den oberen Rand der Hülle ins volle Waschbecken. Außen am Reißverschluß bildeten sich Bläschen. Sie waren winzig und eigentlich kaum zu sehen. Aber trotzdem: Luftdicht war der Verschluß nicht. Perlmann ließ ihn eine gute Minute im Wasser, bevor er ihn sorgfältig abtrocknete. Beim Öffnen schien eines der lockeren Zähnchen weiter beschädigt worden zu sein, und auch ganz außen stand jetzt das eine merkwürdig schräg. Gerade noch einmal zuziehen – mehr würde der Verschluß nicht aushalten. Perlmann fuhr mit dem Finger an der Innenseite des Verschlusses entlang. War das, was er spürte, nur die Kühle des Metalls, oder war auch Feuchtigkeit dabei? Er betrachtete den Finger und rieb prüfend daran: trocken. Wenn der Umschlag nun aber stundenlang im Regen lag? Vollkommen dicht, das hatte man ja sehen können, war der Verschluß nicht.
Er hielt das Gesicht ins Wasser. Danach ging es ihm besser. Er sah im Handkoffer nach, ob er auch kein Blatt vergessen hatte. Dann zählte er die Blätter und strich die besonders mitgenommenen noch einmal glatt. Schließlich schob er den Stoß vorsichtig in die Hülle und quälte sich ein letztes Mal mit dem Reißverschluß. Leskov würde sich schon sehr über die Mühe wundern, die sich die Lufthansa mit dieser Hülle gemacht hatte. Außer für den Umschlag mußte er sich morgen
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