Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
neigte den Kopf, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.«I like that, Phil», sagte er, und aus seinem Ton sprach Bedauern, daß ihm dieser Spielzug nicht selbst eingefallen war.
«Darf ich?»fragte von Levetzov und griff nach der Chronik. Er schlug aufs Geratewohl einige Seiten auf und blätterte dann weiter, bis Bilder kamen.«Ahaa», sagte er plötzlich, richtete das Buch auf und hielt es mit einem genießerischen Ausdruck weiter von sich weg. Dann drehte er den Band um und ließ die anderen das Bild betrachten. Es zeigte Christine Keeler, die Prostituierte, über die der britische Kriegsminister John Profumo 1963 gestürzt war. Sie saß rittlings auf einem Stuhl und war vollständig nackt. Ruges und Leskovs Lachen klang unbefangen, während Millars Grinsen etwas Verlegenes hatte.
«Die Aufmachung erinnert ein bißchen an THE SUN», sagte Laura Sand, während von Levetzov bereits weiterblätterte. Perlmann fühlte sich, als hätten sie ihn soeben mit der BILD-Zeitung oder einem Herrenmagazin ertappt. Jetzt kauft der Mann, der wissenschaftlich versagt hat, auch noch ein Buch vom Niveau der Boulevardpresse.
«Es kommt noch besser!»rief von Levetzov aus und drehte das Buch erneut um. Ein Viertel der großen Seite wurde von einem Foto eingenommen, auf dem Cicciolina zu sehen war, der italienische Pornostar, der damals ins Parlament gewählt wurde. Sie war nackt und räkelte sich in einer aufreizenden Pose. Millar wurde rot und rückte die Brille zurecht. Auch die beiden anderen Männer sahen nur kurz hin. Evelyn Mistral schob, ohne sonst eine Miene zu verziehen, die Unterlippe vor und strich sich das Haar aus der Stirn.
«Das Talent dieses Fotografen hält sich in Grenzen», sagte Laura Sand trocken. Dankbar für die Bemerkung brachen die anderen in ein Gelächter aus, das ein bißchen zu laut und zu lang war.
Perlmann sah Cicciolina vor sich, wie sie im Pelzmantel das Wahllokal betrat und im Blitzlichtgewitter ihren Umschlag kokett in die Urne fallen ließ. Nicht abschalten! hatte Agnes gesagt, als er zur Fernbedienung griff. Ich find’ die Spitze. Einfach klasse. Auf ihrem Gesicht hatte ein Ausdruck gelegen, den er noch nie gesehen hatte. Jetzt bist du aber platt , was? hatte sie gelacht.
«Sie hat anläßlich der letzten Wahlen die Partei der Liebe gegründet, Il Partito d’Amore», sagte Perlmann und wußte sofort, daß es kaum etwas Ungeschickteres gab, was er in diesem Moment hätte sagen können. Die anderen sahen ihn überrascht an. Über so etwas weiß der Bescheid.
«Solche Kenntnisse hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut», sagte Laura Sand und erntete erneut Gelächter.
Perlmann schloß für einen Moment die Augen. Agnes’ Fotografien sind doch besser als ihre. Sehr viel besser. Er griff nach der Plastiktüte und erhob sich. Das Gelächter erstarb unter dem lauten Geräusch des zurückgeschobenen Stuhls. In den Gesichtern, die er aus den Augenwinkeln wahrnahm, stand Ratlosigkeit. Nach wenigen Schritten drehte er sich noch einmal um und deutete mit dem Kopf hinauf zum Himmel.«Immer noch kein Tropfen.»Er versuchte ein Lächeln. Es wurde von niemandem erwidert. Mit schnellen Schritten ging er zum Eingang und hinauf ins Zimmer.
Dort trat er sofort ans Fenster und sah hinunter auf die Terrasse. Evelyn Mistral hatte die aufgeschlagene Chronik vor sich und las mit den vagen und suchenden Gesten von jemandem, der aus dem Stegreif übersetzt, daraus vor. Die anderen bogen sich vor Lachen.
Sie lachten über das Buch, mit dem er sich auf die Suche nach seiner Gegenwart gemacht hatte. Das Buch, das ihn verführt und vom Arbeiten abgehalten hatte. Aber auch das Buch, das ihn hier über Wasser gehalten hatte. Ein massenhaft verkauftes, lautes, oberflächliches Buch, das ihm in seiner ganzen Art fremd war. Ein Buch auch, das ihn vorhin in der Trattoria abgestoßen und gelangweilt hatte. Und doch ein Buch, das er jetzt sehr mochte. Ein intimes Buch. Sein ganz persönliches Buch. Und sie lachten darüber.
Er ging unter die Dusche.
Es hatte noch immer nicht geregnet, und die anderen saßen noch draußen, als er hinunterging, um sich von Maria zu verabschieden. Sie war dabei, das Büro aufzuräumen.
«Kann ich noch etwas für Sie tun?»fragte sie.
«Nein, danke», sagte er. Dann holte er die Bach-Platte aus der Jackentasche und gab sie ihr.«Die schenke ich Ihnen. Sie haben ja geholfen, sie aufzutreiben. »
«Mille grazie», stotterte sie,«aber brauchen Sie sie denn nicht mehr?»
Er
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