Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
am Frankfurter Flughafen auch dafür einen Aufkleber der Lufthansa beschaffen. Dann sah es eher so aus, als sei es eine Routineverpakkung.
Jetzt legte er den Umschlag bereit und holte den Zettel mit Leskovs Privatadresse. Ich muβ es einfach riskieren. Leskov würde ohnehin an seinem Gedächtnis zweifeln. Sollte er die dienstliche Adresse unter den Text geschrieben haben, so würde er in der allgemeinen Verunsicherung seine korrekte Erinnerung für einen weiteren Irrtum halten. Perlmann setzte den eigens gekauften Filzstift an und zog ihn sogleich erschrocken zurück, als habe er aus Versehen beinahe etwas in Brand gesteckt. Er hatte das Verstellen der Schrift ja noch gar nicht geübt. Es bedurfte mehrerer Blätter, bis er sich endlich für eine rückwärts geneigte, steife Schrift entschied, die ihm von allen ausprobierten Varianten am weitesten von seiner eigenen entfernt zu sein schien. Er malte die Buchstaben förmlich auf den Umschlag, so daß es am Ende aussah wie eine groteske Art der Kalligraphie. Bei zwei Buchstaben hatte er etwas gezittert. Aber die Adresse war eindeutig. Der Umschlag würde ankommen.
Erschöpft schob er die Hülle mit dem Text in den Umschlag und brachte die Klammern an. Dann riß er die Probierblätter in kleine Fetzen. Als er sie in den Papierkorb warf, kam er sich vor wie ein Fälscher, der die Werkstatt räumt.
Auf der Terrasse war es immer noch trocken. Dort saßen jetzt nur noch Leskov und Laura Sand, die inzwischen offenbar ihre warme Jacke geholt hatte. Wie es schien, rauchte Leskov eine ihrer Zigaretten. Die Chronik lag zugeklappt auf dem Tisch. Bevor er mich verdächtigt, zweifelt er an seinem Gedächtnis.
Perlmann betrachtete die Adresse. Irgend etwas daran beunruhigte ihn noch. Richtig: die lateinischen Buchstaben. Für die deutsche Post waren sie natürlich erforderlich. Wie aber war es mit den russischen Postboten? Konnten diese Leute das wirklich alle lesen? Er drehte den Umschlag um. Er konnte die Adresse auf der Rückseite in kyrillischer Schrift wiederholen. Ja, das war die Lösung. Er schraubte den Filzstift auf. Bei den kyrillischen Buchstaben war kein Verstellen nötig. Aber war es wirklich eine gute Idee? Sie könnten die russisch geschriebene Adresse für den Absender halten, einen anderen gab es ja nicht.
Perlmann schraubte den Filzstift zu und trat ans Fenster. Jetzt war Leskov allein auf der Terrasse, und die Chronik lag nicht mehr auf dem Tisch. Aber dann würde die Sendung doch trotzdem bei ihm landen. Er erschrak: Er hatte die Länge einer ganzen Zigarette gebraucht, um darauf zu kommen.
Unsicher setzte er sich und griff zum Filzstift. Wie wahrscheinlich war es, daß ein Angestellter der Lufthansa, der mit verlorenen Gegenständen zu tun hatte, eine Adresse in russisch schreiben konnte? Wieder war es, als müsse er sich beim Denken durch ein unsichtbares Medium von tückischer Zähigkeit hindurchkämpfen. Natürlich: Wenn einer die Adresse auf dem Text lesen und als solche identifizieren konnte, dann war er auch in der Lage, sie zu schreiben, oder zumindest, sie Strich für Strich zu kopieren. Perlmann begann zu schreiben.
Mitten in Leskovs Nachnamen hielt er inne. Es gab verschiedene Konventionen der Transkription. Besonders bei den Zischlauten, von denen es in der Adresse wimmelte, war das ärgerlich. Welches System hatte Leskov benutzt, als er ihm damals an der zugigen Straßenecke die Adresse noch einmal aufgeschrieben hatte? Wenn er dabei jetzt einen Fehler machte, kam eine andere russische Buchstabenfolge zustande als die, welche Leskov unter den Text geschrieben hatte. Die Post würde es wohl trotzdem schaffen. Aber für Leskov wäre das eine weitere Merkwürdigkeit: Warum hatte der Russisch lesende Angestellte in Frankfurt so viele Fehler gemacht, wo er die Adresse doch bloß abzuschreiben brauchte? Und wenn er dann lange genug nachdachte -.
Perlmann übermalte die Zeile so lange mit dem Filzstift, bis man nur noch einen Balken aus undurchsichtigem Schwarz sah. Dann steckte er den Umschlag in den Handkoffer, den er für morgen bereitstellte.
52
Laura Sand hielt die Chronik in der Hand, als sie in der Halle auf ihn wartete. In ihrem Blick fehlte der gewohnte zornige Schatten.
«Es tut mir leid wegen der Bemerkung von vorhin», sagte sie.«Sie war völlig überflüssig. Und die Partei der Liebe ist eigentlich ein ganz witziger Gag.»
«Schon gut», sagte Perlmann und wünschte, es hätte nicht so gereizt geklungen. Man mußte jemanden für
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