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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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so», hörte er sich sagen.«Liszt hat beide Male abgekupfert. Von Chopin. Aus demselben Stück, der f-Moll-Etüde aus Opus 25. »
    Als Millar das Wort cribbing hörte, schoß ihm das Blut ins Gesicht, als habe das Wort ihm selbst gegolten. Eine Weile saß er da wie betäubt.
    «Abgekupfert», fragte Leskov,«was bedeutet das?»
    «Spisyvat’», sagte Perlmann ohne Zögern.
    Leskov grinste überrascht und verbesserte seine Betonung.«Da hast du’s. Du kennst ja sogar ein Wort wie dieses... »
    Perlmann griff nach den Zigaretten.
    Millar hatte sich inzwischen gefangen.«Ich denke, Phil», sagte er mit beherrschter Ruhe,«Sie werden mir zustimmen, daß ein Mann wie Franz Liszt es nicht nötig hatte abzuschreiben. Schon gar nicht von Chopin, der ihm nicht das Wasser reichen kann. »
    In Perlmann kochte es, und er spürte, daß die Finger, die jetzt allesamt weh taten, kalt geworden waren. Es war, dachte er, idiotisch gewesen, jetzt noch diese Konfrontation herbeizuführen, keine zwölf Stunden vor Millars Abreise. Und doch war da auch etwas, was er genoß: Seine Angst vor dem offenen Konflikt brachte ihn nicht, wie erwartet, aus der Fassung. Er empfand eine Festigkeit, die ihm neu war.
    «Ob er es nötig hatte oder nicht, Chopin bis in einzelne Figuren hinein zu imitieren, weiß ich nicht», sagte er auf dem Weg zum Flügel.«Tatsache ist, daß er es in diesem Fall tat. »
    Er spielte leichter und befreiter, als er angesichts seiner zitternden Wut erwartet hatte, und die kurze Etüde, die keine größeren technischen Schwierigkeiten enthielt, gelang ihm einwandfrei. Nur ein bißchen zu sanft klang sie, da er vor jedem härteren Anschlag zurückschreckte.
    «Zugabe! »rief Giovanni, der sich mit Signora Morelli etwas abseits gesetzt hatte. Äußerlich reagierte Perlmann auf den Zuruf nicht und ging zurück zum Sessel. Aber in seinem Inneren hatte Giovanni, sein Fan am Rande des Spielfelds, ein kleines Wunder vollbracht: Der Konflikt mit Millar, in den er sich gerade eben noch verbissen hatte, verlor ganz plötzlich seine Macht über ihn und bekam eine spielerische Färbung. Gelassen zündete er eine Zigarette an und blies, wie Silvestri es manchmal getan hatte, den Rauch in die Richtung von Millars Sessel. Evelyn Mistral neigte den Kopf ein bißchen und nickte leicht.
    «Ich höre nicht die Spur von Plagiat», sagte Millar, und sein Ostküstenakzent schien noch stärker zu sein als sonst.
    Ruge nahm die Brille ab und fuhr sich mit der Hand über den Schädel.«Ich bin ein entsetzlicher Banause. Aber ich hatte doch den Eindruck, Brian, daß an Philipps Behauptung etwas dran ist. »
    «Auch ich... », begann von Levetzov.
    «Nonsense», fiel ihm Millar gereizt ins Wort, sichtlich gekränkt, daß ihn seine beiden Verbündeten in letzter Minute im Stich ließen.«Diese paar Takte von Chopin sind doch nur so hingeworfen. Ein denkbar einfach gestricktes Stück. Geradezu einfältig. Die Sachen von Liszt dagegen sind stets raffiniert. »
    Perlmann spürte Hitze im Gesicht. Giovanni war vergessen. Er sah Millar an:«Man könnte auch sagen: geschraubt; oder: gewollt; oder: geziert; oder: schwülstig: oder: gestelzt; oder: affektiert.»Es war wie eine atemlose Sucht, immer noch ein neues oder anzufügen, auf die Gefahr hin, kein weiteres Wort parat zu haben. Er hatte nicht gewußt, daß er all diese englischen Wörter kannte, und hatte das sonderbare, gespenstische Gefühl, daß sie ihm nur bei dieser einen Gelegenheit eingegeben wurden, um dann wieder spurlos aus seinem Wortschatz zu verschwinden.
    Millar nahm die Brille ab, schloß die Augen und faßte sich an die Nasenwurzel. Dann setzte er die Brille so sorgfältig auf wie im Brillengeschäft, kreuzte die Arme und sagte:«Beachtlicher Wortschatz. Aber angelernt. Man merkt den Ausländer. Und mit Franz Liszt haben die Wörter natürlich nicht das geringste zu tun.»
    Laura Sand legte rasch die Hand auf Perlmanns Arm.«Ihr Chopin hat mir gut gefallen. Vor allem die lyrischen Sachen. Wirklich schade, daß Sie nicht schon früher gespielt haben. »
    Beim Aufbruch steckte Leskov das Geld der Wette ein. Dann legte er Perlmann seine schwere Hand auf die Schulter.«Du bist mir einer. Spielst wie ein Pianist und sagst kein Wort davon. Und kennst die ausgefallensten russischen Wörter!»Er lachte.«Weißt du, was dein Problem ist? Du behältst viel zu vieles für dich. Aber du siehst: Am Ende kommt doch alles raus! »
     
    Den größten Teil der Nacht lag Perlmann wach. Die

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