Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
wäre eine zu lange Geschichte. »Er sah einen Moment zu Boden und hob dann wieder den Kopf.«Bleibt es unser Geheimnis?»
    Das strahlende Lachen überzog ihr Gesicht.
    «Ich mag solche Geheimnisse. Und ich kann schweigen wie ein Grab.«
    Der Schaffner ging am Zug entlang und schlug die Türen zu. Sie stand am Fenster des Abteils. Hinter ihrer Stirn arbeitete es. Die Neugierde siegte.
    «War es der Text, den du damals auf der Terrasse, als ich ankam, dabei hattest?»
    Perlmann nickte.
    «Und ist das der Grund, warum du nicht wolltest, daß die anderen... »
    «Ja», sagte er.
    Der Zug fuhr an.
    «Man könnte dazu mehrere Geschichten erfinden», lachte sie.«Ich werd’s auf der Fahrt versuchen. Als Zeitvertreib! »
    Perlmann war froh, daß er, statt zu reden, winken konnte. Er fuhr damit mechanisch fort, bis ihr Wagen außer Sichtweite war. Erst als er den Arm sinken ließ, merkte er, daß er den Griff des Handkoffers so fest umklammert hielt, daß er ihm in die Hand schnitt.
     
    In der Bar des Bahnhofs bestellte er einen Kaffee. Die Zeiger der Wanduhr hinter dem zersprungenen Glas zeigten kurz nach elf. Um Viertel nach zwölf ging das Flugzeug, das er hatte nehmen wollen. Jetzt hinderte ihn Leskov auch noch daran, seine Tat so schnell wie möglich wieder gutzumachen. Nur mit Mühe gelang es Perlmann, seine ohnmächtige Wut im Zaum zu halten, und die junge Frau neben ihm sah verwundert auf seine Faust mit den weißen Knöcheln, die den langen Zuckerlöffel umklammert hielt, statt ihn wieder zurück in die Dose zu tun. Das kannst du ihm nicht abschlagen. Aber sie hatte es ja nicht wissen können. Die Enttäuschung wegen einer Schiffahrt gegen zwei weitere Tage der Verzweiflung, das war doch die Rechnung. Und es war ja nicht nur die Verzweiflung. Vielleicht waren das genau die zwei Tage, die ihn die Stelle kosten würden, weil gerade sie ihm fehlten, um mit dem Abschreiben und dem Neuformulieren der fehlenden Seiten rechtzeitig fertig zu werden.
    Perlmann nahm den Bus zum Flughafen. Er machte innerlich vor den Erinnerungen die Augen zu und ging, ohne sich umzublicken, sofort zum Abfertigungsschalter und weiter zur Sicherheitskontrolle. Auf dem Röntgenschirm war Leskovs Text nur ein vager Schatten. Ungeduldig saß er im Warteraum und sah zu der Maschine hinaus, die gerade den Container mit dem Essen aufnahm. Das Wasser jenseits der Rollbahn lag in gleißendem Licht. Wie hatte Leskov das südliche Licht genannt? Sijajuščij. Ich habe noch kaum etwas von der Gegend gesehen. Wo neulich auch noch die Küstenstraβe gesperrt war. Perlmann begann, auf und ab zu gehen. Dann mußte er eben, wie ursprünglich geplant, morgen fliegen. Seine Buchung stand ja noch. Ein einziger Tag nur, den Leskov länger auf den Text warten mußte. Das hieß, Ivrea sausen zu lassen. Oder zumindest aufzuschieben. Er sah das helle Büro vor sich. Oder aber er flog morgen nachmittag wieder hierher und nahm einen späten Zug nach Ivrea. Er betrachtete die Bordkarte. Ja. Er zerknüllte das grüne Stück Karton, warf es in den Abfallbehälter und quetschte sich unter Protestrufen der Sicherheitsbeamten an den anstehenden Leuten vorbei hinaus in die Halle.
    Auf dem Flug von Frankfurt nach Genua gab es morgen nachmittag keinen freien Platz mehr, und die Warteliste war bereits lang. Perlmann spürte noch den Druck der zerknüllten Bordkarte in der Handfläche. Wie war es mit Flügen von Frankfurt nach Turin? Lustlos fragte die Hostess den Computer ab und vertippte sich dabei mehrmals. Alle Flüge ausgebucht, aber beim einen war auf der Warteliste nur ein einziger Name. Perlmann ließ seinen auch draufsetzen.
    Zehn nach zwölf. Mit dem Scheck, den er in Frankfurt hatte einlösen wollen, ging er zur Bank in der Ankunftshalle. Während er in der Schlange wartete, durchlebte er, ohne sich dagegen wehren zu können, noch einmal Leskovs Ankunft. Ich habe gern mein eigenes Geld. Danach rannte er, die ganzen Scheine noch in der Hand, hinaus zu einem Taxi und bat den Fahrer, so schnell wie möglich nach Santa Margherita zu fahren.

55
     
    Gegenüber der Anlegestelle für die Schiffe stand Leskov am Straßenrand und beobachtete angestrengt den Verkehr. Mit dem einen Bein war er auf der Straße, das andere berührte, seltsam abgeknickt, nur noch leicht den Gehsteig. Sein Oberkörper war erwartungsvoll nach vorne geneigt, und den Kopf mit der großen Brille, die er mit der einen Hand festhielt, versuchte er senkrecht zu halten. Als das Taxi, das mit einigem

Weitere Kostenlose Bücher