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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Perlmann für sich selbst festgelegt hatte, wurde jetzt bereits als etwas Selbstverständliches behandelt. Von Levetzov freilich mied bei diesem Punkt Perlmanns Blick. Dafür kam er nach Ende der Sitzung zu ihm. Etwas überraschend habe er seine Ankündigung schon gefunden, meinte er. Aber wenn er es sich recht überlege, sei er auch ein bißchen neidisch. Es müsse ein schönes Gefühl sein, einmal etwas Neues auszuprobieren. Er sei gespannt auf das Ergebnis!
    Perlmann ging zu Maria ins Sekretariat und stellte ihr Millar vor. Auch heute trug sie einen glitzernden Pullover, der zum Lack im Haar paßte, und wie schon am ersten Abend wurde Perlmann gefangen genommen von dem Kontrast zwischen dem Hauch von Punk, der sie umgab, und dem warmen, fast mütterlichen Lächeln, mit dem sie auf einen zuging. Bis vier Uhr seien seine beiden Texte kopiert, versicherte sie Millar, eine Kopie würde allen Kollegen ins Schlüsselfach gelegt.
    «Den einen Text kennen Sie ja schon», sagte Millar beim Hinausgehen zu Perlmann,«und ich bin gespannt, was Sie zum anderen sagen. Die Kritik an Ihnen ist ziemlich scharf ausgefallen, fürchte ich. Aber Sie wissen ja, daß es nicht persönlich gemeint ist. »

5
     
    Es ist überhaupt kein Problem, Ihnen ein anderes Zimmer zu geben», sagte Signora Morelli leichthin, nachdem Perlmann seine Geschichte mit dem Bett und den Rückenschmerzen in stockendem Italienisch voller Fehler vorgebracht hatte.«Um diese Jahreszeit sind wir längst nicht mehr voll belegt. »Sie sah sein Zögern und hielt in der Bewegung inne, mit der sie sich zum Schlüsselbrett hatte umdrehen wollen. Da nahm Perlmann allen Mut zusammen und sagte mit fester Stimme:
    «Es wäre mir recht, wenn das neue Zimmer auf der anderen Seite des Hauses läge. Zwischen leeren Zimmern, wenn es geht. »
    Auf Signora Morellis strengem Gesicht erschien die Spur eines Lächelns, und ihre Augen wurden ein bißchen schmaler. Sie blätterte in ihren Unterlagen, nahm einen Schlüssel vom Brett und sagte:« Va bene, probieren Sie dieses.»
    Als er sich auf der Treppe noch einmal zu ihr umdrehte, hatte sie beide Arme auf die Ablage hinter der Theke gestützt und sah ihm mit leicht geneigtem Kopf nach.
    Das neue Zimmer lag im obersten Stock des Südflügels, weit entfernt von den Zimmern der anderen. Der Flur war hier düster, denn von den drei Jugendstillampen an der Decke brannten nur zwei, die mittlere blieb dunkel, und in den beiden anderen war jeweils eine der beiden Birnen kaputt. Im ersten Augenblick erschrak Perlmann über das Zimmer. Es war zwar größer und höher als das bisherige, fast war es schon ein Saal, aber der Stuck an der Decke bröckelte, der Teppich war abgetreten und der große Wandspiegel halbblind. Dazu roch es so muffig, als sei hier seit Jahren nicht mehr gelüftet worden. Nur das Badezimmer war vollständig neu gemacht worden, mit einer Wanne aus Marmor und Armaturen aus blitzendem Messing. Er öffnete das Fenster und blickte an der Fassade hinunter: Das Zimmer lag in der einzigen Reihe ohne Balkone. Drüben beim Schwimmbekken hatte sich Giorgio Silvestri auf einem der gelben Liegestühle ausgestreckt. Er hatte Schuhe und Socken ausgezogen, und über dem Gesicht lag die geöffnete Zeitung. Wie ein Clochard. Ein Mann ohne Angst, ein freier Mann.- Und was ich mir da zusammendenke, ist der reine Kitsch.
    Perlmann setzte sich in den großen, roten Ohrensessel aus abgewetztem Plüsch, der beim Fenster stand. Er begann, den Raum mit den Augen auszumessen, und noch bevor er ganz damit fertig war, mochte er ihn bereits. Er legte sich aufs Bett. Plötzlich war es ganz leicht, sich zu entspannen. Das neue Zimmer ließ ihn vergessen, was in der Sitzung geschehen war. Von weit her kamen das Tuten einer Schiffssirene und das Knattern eines Motorboots. Er dachte daran, daß die beiden angrenzenden Zimmer leer waren. Deren Nachbarzimmer wiederum schienen ebenfalls nicht belegt zu sein, und in seiner Phantasie entstanden endlose Fluchten von leeren, stillen Räumen. Dann schlief er ein.
     
    Es war kurz vor drei, als er fröstelnd und mit trockenem Mund erwachte, zunächst verwirrt über den Raum, dann erleichtert. Auf dem Weg nach unten in das alte Zimmer umklammerte er den Schlüssel wie einen Rettungsanker. Die Musik aus Millars Zimmer vermochte ihm nichts mehr anzuhaben, als er nun die Kleider und Bücher einpackte, die er nachts in aller Stille nach oben schaffen würde.
    Bis Millars Texte in den Fächern waren, blieb noch eine

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