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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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benutzte er den Schlüssel, um das Geräusch der zuschnappenden Tür zu vermeiden.
    Die Deckenbeleuchtung des neuen Zimmers warf ein kaltes, diffuses Licht, das an einen Wartesaal im Bahnhof erinnerte. Dafür war der Lichtkegel der Stehlampe neben dem roten Sessel warm und klar, ein ideales Licht zum Lesen. Wenn nur sie brannte, versank der Rest des weitläufigen Zimmers in einer beruhigenden Dunkelheit, die ganz allein ihm gehörte. Nach einer Weile ging er durch diese Dunkelheit hinüber ins Bad und nahm eine halbe Schlaftablette. Bis die Wirkung einsetzte, würde er es im Bett gerade noch schaffen, Millars ersten Text zu überfliegen. Es war ein schwieriger Text mit vielen Formeln. Aber darum würde es morgen ja kaum gehen. Perlmann stellte den Wecker auf halb acht. Er mußte, dachte er im Halbschlaf, für die Dauer der morgigen Sitzung eine Meinung simulieren. Es würde nicht reichen, sie in Worte zu fassen; es ging darum, die Meinung auch im Inneren zu inszenieren. Konnte man das, ankämpfend gegen die Gewißheit, daß einem jegliche Meinung fehlte?

6
     
    Der Kellner, der ihm am nächsten Morgen den Kaffee brachte, ließ sich wegen des neuen Zimmers nichts anmerken. Als er sich dem runden Tisch beim roten Sessel näherte, deckte Perlmann Leskovs Text mit der Hotelbroschüre zu und schob ihn dann zur Seite, um Platz für das Tablett zu machen. Er tat es mit einer schnellen, verstohlenen Bewegung, die ihn vage beunruhigte, die er aber sogleich wieder vergaß.
    Für die Lektüre von Millars erstem Text, zu der es gestern nacht nicht mehr gekommen war, blieb keine Zeit mehr, denn aus den fünf Minuten des Dösens, die er sich nach dem Klingeln des Weckers zugestanden hatte, war eine halbe Stunde geworden. Perlmann sah sich noch einmal die Passagen an, die Millar aus seinen Schriften zitierte. Daß er selbst das geschrieben haben sollte, kam ihm unglaubhaft vor. Nicht, weil er es schlecht fand. Aber der Autor dieser Zeilen hatte einen Zugriff auf die Sache und eine Sicherheit der Meinung, an die er sich so wenig erinnern konnte, daß er das Gefühl hatte, damals beim Schreiben gar nicht anwesend gewesen zu sein. Dieser ferne, fremde Autor war ihm kein bißchen näher als die wissenschaftliche Stimme Millars, so daß er sich vorkam wie ein Schiedsrichter in einer Auseinandersetzung zwischen Fremden, ein Schiedsrichter, dessen Neutralität so weit ging, daß er das Hin und Her der Argumente ohne das geringste Bedürfnis der Einmischung verfolgte. Als er nachher die Halle durchquerte, in den Korridor zum Salon einbog und auf die Stufen zur Veranda Marconi zuging, war er immer noch mit dem vergeblichen Versuch beschäftigt, für sich selbst Partei zu ergreifen.
    Millar begann mit einer Erläuterung der theoretischen Motive und der langfristigen Forschungsinteressen, die ihn bei der vorliegenden Arbeit geleitet hatten. Nach wenigen Sätzen stand er auf und begann, langsam auf und ab zu gehen, die Arme über der Brust verschränkt. Er trug eine dunkelblaue Hose und ein kurzärmliges, weißes Hemd mit Schulterklappen, dem man ansah, daß es länger in einem Koffer gelegen hatte. Obwohl sein Haar noch feucht war, wirkte es seltsam stumpf, und vom rötlichen Schimmer war nichts zu sehen. Die Bestimmtheit, mit der er seine Sache vortrug, erinnerte an die Bestimmtheit, mit der ein Admiral bei der Lagebesprechung zu seinen Leuten sprechen würde. Wie er da mit sonorer Stimme einen wohlgeformten Satz an den anderen reihte, strahlte er die Sicherheit desjenigen aus, der sich in seiner Welt perfekt auskannte und keinen Moment daran zweifelte, daß er in dieser Welt genau am richtigen Platz war – einer Welt, in der es, wie in einem Offizierskasino, unverrückbare Regeln gab wie zum Beispiel die, daß man pünktlich zum gemeinsamen Frühstück zu erscheinen hatte. Perlmann war nie an der Rockefeller-Universität gewesen, an der Millar arbeitete, aber irgendwie schien es ihm ganz selbstverständlich, daß Leute, die dort ein- und ausgingen, so waren wie dieser Brian Millar. Er blickte zu Giorgio Silvestri hinüber, der, auf dem Stuhl balancierend, eben fast das Gleichgewicht verloren hatte und einen Sturz nur hatte verhindern können, indem er sich mit der Hand am Fenster hinter sich abstützte. Gerne hätte er mit ihm einen Blick und ein Lächeln getauscht, fürchtete aber, damit zuviel von seinem Wunsch nach einer Komplizenschaft gegen Millar zu verraten.
    Millar setzte sich und suchte Perlmanns Blick. Doch Adrian von Levetzov

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