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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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sagte er sich, während Ruge nun seine eigenen Experimente erläuterte: Da hatte er damals ausnahmsweise etwas wirklich genau wissen wollen, und ausgerechnet dieser für ihn untypische Wunsch hatte ihn ins Rampenlicht katapultiert. Oder war es am Ende falsch, was er am Freitag auf diesem Stuhl über sein Bedürfnis nach verwischten Linien gedacht hatte? Denn genau waren ja seine späteren Arbeiten auch. Wären sie überhaupt möglich gewesen, wenn nicht auch ein Wille zur Genauigkeit in ihm steckte? Aber das waren eben zwei Dinge: das natürliche Bedürfnis und der erlernte Wille.
    Seine Schriften waren beliebt bei den Studenten, sie waren gut geschrieben und durchsichtig aufgebaut. Was nie kam: ein großer Wurf wie bei Adrian von Levetzov und bei Millar mit dem Buch vor zwei Jahren. Er war ganz sicher, daß die anderen sich manchmal fragten, wo, unter dem Strich, seine Leistung blieb. Diese Gewißheit war immer ganz vorne in seinem Bewußtsein, wenn er mit Kollegen fachlich zu tun hatte. Dann liefen sein Gedächtnis und seine Routine im Kombinieren auf Hochtouren, seine Vorstellung war beeindrukkend, er nahm die Wirkung wahr, für eine Weile waren alle Selbstzweifel vergessen, und in solchen Momenten glückten ihm Argumente, Beobachtungen und Vorschläge, die nun doch irgendwie auch originell waren, man sah es an den Gesichtern der Zuhörer, er hatte eine Runde gewonnen, ein Polster des Ansehens war entstanden, und er blieb die halbe Nacht auf, um das Gefühl festzuhalten. Am nächsten Morgen war er wieder nichts weiter als ein fleißiger Arbeiter, der sich fragte, wo seine Leistung blieb.
    Die nächste Stunde wurde ganz ausgefüllt von einem Zwiegespräch zwischen Ruge und Laura Sand, die ihre Tierexperimente Detail für Detail mit dem verglich, was in Bochum gemacht worden war. Zu Perlmanns Überraschung waren alle Gereiztheit und Ungeduld von ihr abgefallen, und die konzentrierte Ruhe und Eindringlichkeit ihrer Analysen hatte etwas derart Hypnotisches, daß ab und zu sogar Ruge zu reagieren vergaß. Zum erstenmal schrieb Giorgio Silvestri mit. Durchbrochen wurde diese Atmosphäre nur ein einziges Mal, als der rothaarige Amerikaner erschien und vor dem Fenster Gymnastik machte.«John Smith», sagte Millar, ohne eine Miene zu verziehen.«Aus Carson City, Nevada. »In dem Gelächter warf Evelyn Mistral Perlmann einen Blick zu.
    So, wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache heute morgen klang, war sie eine gute Sache, dachte Perlmann. Eine interessante Sache, die man fördern sollte. Und dann spürte er plötzlich, daß er diesen Gedanken in einer ganz bestimmten inneren Haltung dachte: wie einer, der am Feierabend das wissenschaftliche Magazin im Fernsehen verfolgt, um dann auf Sport umzuschalten.
    Dabei war es ja nun wirklich nicht so, daß ihn Sprache nur am Rande interessierte. Nur interessierte sie ihn eben nicht auf diese Weise. Sprache zergliedern, vermessen, formalisieren: Das interessierte ihn im Grunde keinen Deut mehr als Chemie. Wenn ihn Sprachen immer von neuem in ihren Bann zogen, dann als Medium des Erlebens, und vor allem als ein Mittel, um sich an die Gegenwart heranzutasten, die sich mit derart teuflischer Geschicklichkeit gegen seinen Zugriff wehrte. Es war ihm damals, als er im Studentensekretariat stand, so natürlich, so logisch erschienen, sich für Sprachwissenschaft einzuschreiben. Viele der anderen Dinge, wie beispielsweise Jura oder Physik, schieden von vornherein aus, darüber brauchte er gar nicht nachzudenken. Und auch Medizin kam nicht in Frage, das bedeutete viel zuviel körperliche Nähe zu anderen Menschen.
    Sprachen, das war etwas, was er mochte. Und da besitzt du doch auch eine solche facilite, hatte die Mutter gesagt, die durch das Einstreuen solcher Wörter ihre gänzlich fehlende Begabung für Fremdsprachen zu verschleiern suchte, nicht zuletzt vor sich selbst. Dabei stimmte kein Wort davon. Wie bei so vielen Dingen war auch hier das einzige, was er besaß, Fleiß, Ausdauer und eine oftmals blinde Festigkeit des Willens.
    Achim Ruge hatte das Jackett ausgezogen und über die Rückenlehne des Sessels gehängt. Die beiden geschnitzten Stangen der Lehne lagen weiter auseinander als die Achseln der Jacke und stachen so weit in die Ärmel hinein, daß der Eindruck einer Vogelscheuche entstand, die über Ruges großem, kahlem Kopf aufragte. Aber Perlmann wollte sich weder davon noch von den lächerlichen Gummibändern an Ruges Oberarmen ablenken lassen. Zum erstenmal meinte

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