Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Plastik der Packung. Er hatte den Eindruck, ein Relikt aus einer überholten, im Rückblick lächerlich wirkenden Innenwelt zu berühren. Und hätte in Millars Gesicht nicht diese Mißbilligung seines erneuten Zuspätkommens gestanden, er hätte die Sache auf sich beruhen lassen.
«Ach, übrigens, Brian», begann er und versuchte, aus seinem Gesicht alles Triumphierende fernzuhalten,«diese Zugabe, die Sie am Samstag gespielt haben, das ist nicht die 902 des Werkverzeichnisses. Es ist die 930. Die 902 ist in G-Dur. »
Es war ihm gelungen, es unverkrampft zu sagen, beinahe spielerisch, und ein Rest der Einsicht in das Lächerliche der Sache hatte sich in seine Stimme hinübergerettet. Doch nun trat in dem Raum, in dem außer ihnen heute abend nur noch John Smith saß, eine Stille ein, die der Szene eine unheilvolle Dramatik verlieh.
Millar setzte seine Brille zurecht, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. Er schob einen Moment die Unterlippe vor, schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte mit einem Lächeln, bei dem sich die Augen verengten:
«Offen gestanden, Phil, ich glaube nicht, daß ich mich da irre. Im weniger bekannten Bach bin ich besonders gut zu Hause. »
Perlmann ließ sich Zeit. Er hielt Millars herausforderndem Blick stand. Dieses eine Mal fand er es wunderbar einfach. Ihre Blicke griffen ineinander und verhakten sich. Dieser Augenblick entschädigte für vieles, und er kostete ihn aus. Nach dem, was jetzt kam, würde Millar es nicht mehr wagen, auf die Sache mit der törichten Frage zurückzukommen.
Er zog die Packung mit den beiden Platten aus der Tasche, ließ den Blick mit schauspielerischer Ausführlichkeit darauf ruhen und schob sie dann langsam über das sich wellende Tischtuch hinüber zu Millar. Lakonisch. Ganz lakonisch.
«Sie können Ihren Fehler nachher selbst feststellen. Übrigens eine oft verkaufte Aufnahme. Ich schenke sie Ihnen. »Er war froh, daß er mistake gesagt hatte und nicht error. Das klang mehr nach Schule und würde ihn härter treffen.
Von Levetzov sah neugierig hinüber zu Millar und blickte dann Perlmann mit einem Lächeln an, das ihm bedeuten sollte, dieses Mal sei er auf seiner Seite. Er ist ein Opportunist, ein Gesprächsopportunist, der sich stets auf die Seite der stärkeren Bataillone schlägt.
Auch Ruge lächelte, aber es war ein Lächeln ohne Parteinahme, die Sache amüsierte ihn einfach, ihn, der in Diskussionen angriffslustig war und einen Wortwechsel, in dem man gewinnen oder verlieren konnte, immer zu schätzen wußte.
Millar hatte die Packung aufgeklappt und schüttelte mit geschürzten Lippen den Kopf.«Das Etikett auf der Platte – das heißt gar nichts. »
«Es steht alles im Begleitheftchen. Im anderen Fach. »
Verächtlich ließ Millar die Seiten des Heftchens über den Daumen gleiten.«Das würde ja bedeuten, daß es ein Stück aus dem Klavierbüchlein ist», sagte er, und die Komik des mißlungenen Umlauts nahm seinen Worten etwas von ihrer verächtlichen Schärfe.«Und das ist es nicht. Da bin ich absolut sicher. Er klappte die Packung energisch zu und schob sie zu Perlmann hinüber, der sie in der Mitte des Tischs liegen ließ, direkt neben der Sauciere.
«Well, Brian», sagte Perlmann und neigte seinen Kopf nach Millars Art zur Seite,«wir können uns das Stück ja nachher drüben anhören. »
«Ja, bitte», warf Laura Sand ein,«ich mag diese einfache Melodie. »
Wenn ihre Bemerkung etwas Ironisches hatte, dann war es nur der feinste Hauch. Aber Millar hob irritiert die Brauen, als wolle ihn jemand auf die dreisteste Art verspotten.
«Well, Phil», äffte er Perlmann nach,«Waschzettel können Fehler enthalten, nicht wahr. Das kommt vor. Selbst bei CBS. Nein, nein, wir bräuchten schon die Noten. »
«Die dann natürlich auch falsch beschriftet sein könnten», sagte Silvestri und blies Rauch über den Tisch.
«Well, now, Giorgio», schnappte Millar.
«Buon appetito», grinste Silvestri und hob das Glas.
Am weiteren Gespräch beteiligte sich Millar nicht mehr. Er sah vor sich auf den Teller. Nur einmal blickte er an Perlmann vorbei in den Raum, senkte den Kopf aber sofort wieder. Evelyn Mistral kicherte, und als die anderen sich umdrehten, sahen sie, wie John Smith Millar zuprostete.
«Übrigens, Phil», sagte Millar beim Kaffee unvermittelt,«wie kommt es eigentlich, daß Sie die Platte bei sich haben?»Er stützte das Kinn auf die verschränkten Hände und sah Perlmann starr an. «Sort of fluke,
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